TS 83: Der Mann, der ein Roboter war
etwas in den Magen zu bekommen“, sagte er laut und deutlich, „und diese Klugschwätzer brauchen nur für wenige Minuten zwei Finger in eine Steckdose zu stecken. Eine Schande ist das!“
Der Angestellte mit der Mappe verbesserte ihn. „Na ja, so ist das nun auch wieder nicht! Diese Maschinen haben einen Atomkonverter im Bauch, der zeit ihres Lebens Energie liefert. Aber deshalb brauchen sie uns nicht die Sitzplätze wegzunehmen.“
Die Zuhörenden nickten beifällig, soweit sie nicht dösten.
Der Zug hielt. Immer mehr Menschen drängten sich in das Wageninnere.
„Früher hat man uns erzählt, die Maschinen müßten gebaut werden, um uns alle harten, eintönigen oder gefährlichen Arbeiten abzunehmen. Aber was ist daraus geworden? Wir arbeiten härter und stumpfsinniger als je zuvor. Die Robots haben gar nicht mehr nötig zu arbeiten. Sie nehmen uns nur die besten Arbeitsplätze weg. Und die Sitzplätze“, fügte er mit einem erneuten Seitenblick zu Keith hinzu.
Keith hätte ihm gern geantwortet, daß die meisten Menschen kein Interesse mehr am Lernen, am Wissen und an der Verantwortung haben. Ihm kam beunruhigend zu Bewußtsein, daß der Mensch im Begriff war, vor der Vollkommenheit der Maschinen zu resignieren, daß er nicht mehr den Mut und den Willen hatte, mehr zu können als ein Humanoid. Daß er nunmehr versuchte, mehr zu sein, war nur eine kausale Folge.
So lächelte er zu dem jungen Mann hinauf und erhob sich. „Bürger, Sie mußten mich um meinen Platz bitten. Es war ein unverzeihlicher Fehler von mir. Darf ich Ihnen meinen Platz zur Verfügung stellen?“
Es war kein Funken Ironie in seinen Worten, eher Mitleid für die Menschheit.
„Na, was denn sonst?“ Der schmalschultrige Bursche setzte sich hastig und beachtete Keith nicht mehr.
Keith trat an die gepolsterte Wand und war erschrocken, als er erkannte, wie fremd er sich unter all den Menschen fühlte.
Zwei Stationen später ließ er sich von der Menge auf den Bahnsteig spülen.
*
In der Testzentrale stellte Keith als erstes einen Recorder ein, den er vor Jahren seinen Ansprüchen angepaßt und mit einigen überdimensionalen Schallwänden versehen hatte. Er liebte es, während seiner Arbeiten Orgel- und Cembalomusik der antiken alten Meister zu hören. Unter den Angestellten des Institutes ging das Gerücht um, Dr. Keith könne sämtliche Werke Bachs auswendig spielen. Aber nicht einmal Joan wußte, daß er vor seinem Unfall gelegentlich in der St. George Cathedral eigene Kompositionen auf der Orgel spielte.
Keith schätzte schon seit seiner Jugend die Werke Bachs wegen ihres harmonischen Gleichgewichts zwischen logischem Aufbau und emotionaler Aussage. Diese Vorliebe Keiths für antike Musik stieß bei seinen Freunden auf lächelnde Toleranz, bei allen anderen auf eine Art skeptischen Mitleids. Selbst Jerry hatte sich einmal zu der kritischen Äußerung hinreißen lassen, diese Musik sei zweifellos wunderbar, doch sei sie es nicht allein. Einzig Betty hatte sich nicht darüber gewundert; und wenn, dann hatte sie es sich nie anmerken lassen.
Keith wählte lange unter den Spulen. Schließlich entschied er sich für eine Französische Suite in h-moll, die er selbst irgendwann auf dem Cembalo gespielt und mitgeschnitten hatte. Die strenge Schönheit der verspielten und dennoch festen Gesetzen gehorchenden Musik bestrickte ihn immer wieder mit ihrem eigenartigen Reiz, und er versuchte sich ganz in sie zu versenken.
Eine halbe Stunde mochte vergangen sein. Längst schwiegen die Schallwände. Da stand er ruckartig auf und tastete das Wiedergabegerät aus. Bewegungslos blieb er stehen.
Diese Musik war ihm ein Rätsel. Auch sie schien ihm fremd wie die Menschen in der Stadt. Ein läppischer Zufall hatte ihn vor wenigen Tagen an seine Vorliebe für Bach erinnert. Seitdem bemühte er sich zu verstehen, was ihn daran so gefesselt haben konnte.
Keith horchte tief in sich hinein. Er meinte ein Echo finden zu müssen, das verlorengegangen war. Gewiß, es fehlten all die Erinnerungen, die mit jeder Passage verknüpft waren, jene Eindrücke aus der Zeit, als Joan noch der Mittelpunkt seiner Gedanken, das Endziel seiner Wünsche war. Das allein jedoch konnte es nicht sein.
Er fühlte sich taub und leer, als er sich seinen Berechnungen zuwandte.
*
Der Unikom sprach an. Keith ließ aufseufzend die Hand von den Programmierungstasten seiner Kleinstrechenmaschine sinken und drückte den winzigen Sprechknopf ein.
„Beta 01. Darf
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