TS 88: Das Ende der Zeitreise
seinen Zigaretten. Mit geschlossenen Augen im Sessel liegend, blies er verwehende Rauchkringel gegen die Zimmerdecke. Eiseskälte nahm seine Gefühle gefangen. Noch vor einem Vierteljahr hätte er sich die Fortsetzung von „Wolken über den Wüsten“ nicht entgehen lassen. Jetzt kam es ihm vor, als wäre er bereits ein Fremder unter Fremden. Dabei saß er noch hier, in seinem Bungalow, mitten auf der Erde – der Erde, die nicht mehr die sein würde, die sie jetzt war, wenn er seinen Flug hinter sich gebracht hatte.
Dabei stand es noch nicht einmal fest, ob die Berechnungen der Mathematiker stimmten. Die „Kentaurus“ war das erste Raumschiff, das eine Reise im relativistischen Fluge zurücklegen sollte – und er, Marcel Turpin, war der Kommandant. Würde sich die Theorie der Zeitdilatation bewahrheiten? Würden die zehn Jahre, die auf der Kentaurus vergehen mußten, gleichbedeutend mit sechzig Jahren auf der Erde sein? Oder würden sie erst nach hundert, zweihundert oder gar dreihundert Jahren zurückkommen? Oder …? Es gab viele „Oder“; niemand konnte eine völlig sichere Antwort geben. Nun, in zehn Jahren würde er es wissen – wenn alles gut ging!
Mit einer energischen Bewegung drückte Marcel seine Zigarette aus. Etwas zu hastig erhob er sich, setzte die Schirmmütze auf seinen kahlen Schädel und trat durch die offene Glastür auf die Veranda hinaus. Die laue Brise trug das vertraute Rauschen des Meeres herüber. Im Norden grüßten, wie schaumbekränzte Blumensträuße, die Nachbarinseln des Nuyts-Archipels. Weiter im Nordwesten, mehr zu ahnen als wirklich zu erkennen, schob sich Kap Adieu in das grundlose Blau des Ozeans hinein. Halb ironisch, halb wehmütig, lächelte Marcel. Kap Adieu! Ja, Adieu würde er sagen müssen, wenn ihn der Gleiter abholte – zu einer Reise, von der es vielleicht keine Wiederkehr gab …
So in Gedanken versunken war Marcel, daß er zusammenfuhr, als ein unverhoffter Luftzug seinen Nacken streifte. R. Jean stand in der offenen Verandatür. Er neigte den Kopf. „Sir, Major Lerricks von Gibson-Fields gab soeben durch, daß Ihr Gleiter gestartet sei. In etwa zehn Minuten träfe er hier ein.“
Marcel räusperte sich anhaltend. „Ist mein Gepäck fertig, Jean?“
„Jawohl, Sir. Es ist alles bereit.“ Erneut neigte der Roboter den Kopf. „R. Felipe und R. Tommy warten bereits mit den Koffern an der Plattform.“
Marcel nickte zerstreut. „Es ist gut, Jean. Ich werde jetzt gehen.“ Er wollte an R. Jean vorüber, doch der hielt ihn mit einer respektvollen Bewegung auf.
„Verzeihung, Sir. Ihr oberster Uniformknopf …“
„Schon gut!“ Marcel wurde rot. „Ich werde ihn rechtzeitig schließen.“ Bereits an der Tür seines Arbeitszimmers, wandte er sich noch einmal um. „Ist … sonst alles in Ordnung, Jean?“
„Alles in Ordnung, Sir. Sie werden sofort wieder einziehen können, wenn Sie zurückkehren.“
„Danke, Jean …“ Das „Auf Wiedersehen“ schluckte Marcel im letzten Augenblick herunter. Warum eigentlich? überlegte er, als er aus dem Hause war. Die Roboter würden von allen Bekannten und Freunden die einzigen sein, die er wiedersah – und sie würden seinen kleine Insel, das Haus und die Düsenjacht in Ordnung halten. Aber wer weiß, vielleicht zog er nicht wieder hier ein. Zu viele Erinnerungen klebten daran. Sie würden ihn quälen und ihm seine Einsamkeit ständig vor Augen halten.
Marcel schritt den mit bunten Glasplastikplatten belegten Weg hinab. Links und rechts von ihm neigten sich die Wipfel der Palmen und flüsterten mit ihren breiten Blättern. Marcel seufzte. Der Weg weitete sich zu einem quadratischen Platz, über dem die erhitzte Luft im Sonnenglast flimmerte und die neben den Koffern wartenden Dienstroboter grotesk verzerrt erscheinen ließ.
Als Marcel hinaustrat, vernahm er das schwache Summen. Er legte die Hand schützend über die Augen und blickte nach oben.
Ein silbern blitzender Diskus senkte sich herab.
Das Summen verstärkte sich zu einem Dröhnen. Die weißblauen Flämmchen der Randdüsen wurden erkennbar. Ein Schatten huschte über das makellose Weiß des Platzes. Gleich darauf setzte der Gleiter exakt in der Mitte des Landefeldes auf. Die Düsenflämmchen krochen zögernd in die schwarzen Schlünde zurück, blakten nur noch schwach rötlich – und warteten. In der gewölbten Seitenwand erschien eine Öffnung. Ein noch ziemlich junger, untersetzter Offizier in der Uniform der Raumflotte kletterte heraus, sprang
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