TS 93: Der Unangreifbare
eine Rolltreppe ging es wieder nach oben. Koskinen hatte Viviennes Räume im Krater für luxuriös gehalten, aber was er nun sah, verschlug ihm den Atem. Der ihm zugewiesene Raum war unglaublich luxuriös und doch zweckmäßig eingerichtet. Koskinen badete und zog die bereitgelegten Kleider an. Der Ring um den Hals machte ihn nervös. Er wollte ihn so schnell wie möglich loswerden. Er ging wieder zu Leah zurück, die in einem großen Raum auf ihn wartete.
„Gehen wir hinaus, bis Vivienne kommt“, schlug Leha vor. „Der Tag ist herrlich.“
Sie traten auf eine breite Terrasse hinaus und lehnten sich ans Geländer. Von der enormen Höhe hatten sie einen wunderbaren Ausblick auf den Sund.
Koskinen atmete tief durch. „Herrlich!“ sagte er. „Das haben wir auf dem Mars am meisten vermißt.“
„Gibt es dort keine Unterschiede?“
„Doch, aber ganz anderer Art. Tagsüber ist die Atmosphäre oft so klar, daß es bis zum Horizont nichts zu geben scheint. Man verliert dabei das Gefühl für Entfernungen. Die Nächte kommen ganz plötzlich und ohne die geringste Warnung. Auf einmal glitzern die Sterne am tiefschwarzen Himmel, und die Felsen knirschen bei dem plötzlich einsetzenden Temperaturabfall. Es gibt aber auch Sandstürme. Die Sonne scheint dann durch die Sandwolken und läßt die Staubkörner wie Brillanten blitzen. Im Frühjahr schmelzen die Polkappen ab, und die kleinen Wälder erwachen zu neuem Leben. Die Bäume rollen ihre meterlangen Blätter der Sonne entgegen und entwickeln alle nur denkbaren Farbnuancen. Sie können sich diese Pracht gar nicht vorstellen, Leah“, sagte er schwärmerisch.
„Möchten Sie wieder zum Mars zurück?“
„Ja. Wir müssen die Freundschaft mit den Marsbewohnern pflegen.“
„Das hat Dave auch gesagt. Sie wollen gern Freunde haben, nicht wahr, Pete?“
„Freunde ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Zwischen den Expeditionsteilnehmern herrschte ein gutes Einvernehmen, das eigentlich über den Begriff Freundschaft hinausging. Ich weiß nicht, wie ich dieses Gefühl erklären soll. Man muß es erlebt haben, um es verstehen zu können. An der nächsten Expedition muß unbedingt eine Frau teilnehmen. Der absolute Kontakt mit den Marsbewohnern ist wahrscheinlich nur in einer Einheit möglich. Mann und Frau bilden eine solche Einheit. Wir haben uns dort oben nicht mit Worten allein verständigt. Für die Marsbewohner ist die Verständigung zwischen Individuen eine Angelegenheit des ganzen Körpers. Wir beschränken uns auf Worte, Blicke oder Gesten. Die Marsbewohner verständigen sich auch musikalisch und durch tänzerische Bewegungen. Es gibt Dinge, die sich nicht mit Worten ausdrücken lassen. Wenn man mehrere Arten der Verständigung zur Verfügung hat und diese anwendet, kann man sich erst richtig ausdrücken.“
„Das setzt aber eine gleichartige Aufnahmefähigkeit voraus“, sagte Leah nachdenklich.
„Das ist es eben. Unsere Verbindungen zu den Marsbewohnern sind auch nicht fest genug. Diese Art der Kommunikation setzt eine psychologische Affinität voraus, eine Verschmelzung der Gesprächspartner zu einer Einheit. Wir haben fünf Jahre gebraucht, um in die allerprimitivsten Anfänge einzudringen. Die nächste Expedition wird darauf aufbauen können. Wir müssen aber als Einheit auftreten, als Mann und Frau. Das wird aber nicht genügen. Wenn wir uns den Marsbewohnern verständlich machen wollen, müssen wir eine Auswahl aus allen Altersgruppen, Bildungsständen und Kulturstufen zum Mars bringen.“
„Jetzt kann ich verstehen, warum Dave so begeistert von Ihnen gesprochen hat“, sagte Leah warm. „Sie sind ein ausgesprochener Idealist.“
Koskinen lächelte. „Ich wollte keine Predigt halten.“
„Ich höre gerne zu, Pete. Ich möchte wissen, was ihr dort erlebt habt. Ich hatte leider nicht viel Gelegenheit, mich mit Dave darüber zu unterhalten. Ich glaube, es gibt noch sehr viele Dinge, die wir bisher nur ahnen. Die Menschen hier sind entweder blasiert oder ganz einfach dumm. Wir haben Raumschiffe, Satelliten und andere technische Wunder, aber wir nehmen alles als selbstverständlich hin. Wenn ich jetzt den Mars sehe, werde ich diesen Planeten mit ganz anderen Augen betrachten. Er wird für mich nicht ein rötliches Lichtpünktchen sein, sondern eine eigene Welt. Ich habe Ihnen viel zu verdanken, Pete.“
*
Den Nachmittag verbrachte Koskinen in einer erstaunlich gut ausgestatteten Bibliothek. Er las, weil er sich die Zeit vertreiben
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