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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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auf der Straße erkannt hat, genauso wie der Gesichtschirurg wenig später mit einem Betonklotz an den Füßen in unheimlich tiefem Wasser stand. Fertig.»
    Ich guckte Tatjana an. Sie hatte die Stirn gerunzelt und einen Bleistift im Mund. Dann guckte ich Kaltwasser an. An Kaltwassers Gesicht war absolut nichts zu erkennen. Kaltwasser schien leicht angespannt, aber mehr so interessiert-angespannt. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Zensur gab er nicht. Anschließend las Anja die richtige Interpretation, wie sie auch bei Google steht, dann gab es noch eine endlose Diskussion darüber, ob Brecht Kommunist gewesen war, und dann war die Stunde zu Ende. Und das war schon kurz vor den Sommerferien.

12
    Aber jetzt muss ich erst mal von Tatjanas Geburtstag erzählen. Mitten in den Sommerferien hatte Tatjana Geburtstag, und da sollte eine Riesenparty stattfinden. Tatjana hatte das schon lange vorher angekündigt. Es hatte geheißen, dass sie ihren vierzehnten Geburtstag in Werder bei Potsdam feiert und dass alle dorthin eingeladen wären mit Übernachtung und so. Sie hatte bei ihren besten Freundinnen rumgefragt, weil sie sicher sein wollte, dass die auch da sein würden, und weil Natalie schon am dritten Ferientag mit ihren Eltern in den Urlaub fuhr, musste die ganze Party auf den zweiten Tag vorverlegt werden, und deshalb wurde das alles auch so früh bekannt.
    Dieses Haus in Werder gehörte einem Onkel von Tatjana und lag direkt am See, und dieser Onkel wollte Tatjana das Haus praktisch überlassen, es würden außer ihm keine Erwachsenen da sein, es würde die Nacht durchgefeiert, und alle sollten ihre Schlafsäcke mitbringen.
    Das war natürlich ein großes Thema in der Klasse, Wochen vorher schon, und ich fing an, mich in Gedanken mit diesem Onkel zu beschäftigen. Ich weiß nicht mehr, warum der mich so faszinierte, aber ich dachte, das müsste ein ziemlich interessanter Typ sein, dass der Tatjana einfach so sein Haus überlässt und dass er auch noch verwandt mit ihr ist, und ich freute mich wahnsinnig darauf, ihn kennenzulernen. Ich sah mich schon immer mit ihm in seinem Wohnzimmer am Kamin stehen und supergepflegt Konversation machen. Dabei wusste ich ja nicht mal, ob es in dem Haus einen Kamin gab. Aber ich war nicht der Einzige, der aufgeregt war wegen dieser Party. Julia und Natalie überlegten schon lange vorher immer, was sie Tatjana schenken sollten, das konnte man auf den Zetteln lesen, die im Unterricht durch die Bänke gereicht wurden. Das heißt, ich konnte es lesen, weil ich in der direkten Verbindungslinie zwischen Julia und Natalie saß, und ich war natürlich wie elektrisiert von dieser Geschenkidee und dachte selbst über nichts anderes mehr nach als darüber, was ich Tatjana zum Geburtstag schenken könnte. Julia und Natalie, das war schon mal klar, würden ihr die neue Beyoncé-CD schenken. Julia hatte Natalie eine Liste zum Ankreuzen geschickt, die ungefähr so aussah:
     
○  Beyoncé
○  Pink
○  das Halsband mit den [unleserlich]
○  lieber noch mal abwarten
     
    Und Natalie hatte ganz oben ihr Kreuz gemacht. Das war allgemein bekannt, Tatjana fand Beyoncé toll. Was ich erst mal ein bisschen problematisch fand, weil ich Beyoncé scheiße fand, jedenfalls die Musik. Aber immerhin sah sie phantastisch aus, sie hatte sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit Tatjana, und deshalb fand ich Beyoncé dann irgendwann auch nicht mehr ganz so scheiße. Im Gegenteil, ich fing an, Beyoncé zu mögen, und auch ihre Musik mochte ich auf einmal. Nein, das stimmt nicht. Ich fand die Musik super . Ich hatte mir die letzten zwei CDs gekauft und hörte sie in Endlosschleife, während ich an Tatjana dachte und daran, mit was für einem Geschenk ich auf dieser Party auflaufen wollte. Irgendwas von Beyoncé konnte ich ihr auf keinen Fall schenken. Auf die Idee waren außer Julia und Natalie wahrscheinlich noch dreißig andere gekommen, und dann bekam Tatjana zum Geburtstag dreißig Beyoncé-CDs und konnte neunundzwanzig umtauschen. Ich wollte ihr irgendwas Besonderes schenken, aber mir fiel nichts ein, und erst als dieser Zettel zum Ankreuzen bei mir vorbeikam, da fiel es mir ein.
    Ich ging zu Karstadt, kaufte eine ziemlich teure Modezeitschrift mit dem Gesicht von Beyoncé drauf und fing an zu zeichnen. Mit einem Lineal machte ich Bleistiftstriche senkrecht und waagerecht über das Gesicht, in regelmäßigen Abständen, bis kleine Quadrate auf dem ganzen Bild waren. Dann nahm ich ein riesiges Blatt Papier und

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