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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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abgearbeitet hab?»
    Tschick kratzte sich am Hals. Er legte die Zeichnung auf den Schreibtisch, betrachtete sie kopfschüttelnd und sah mich dann wieder an und sagte: «Genau so würd ich’s machen.»

17
    «Im Ernst, du musst was machen. Wenn du nichts machst, wirst du verrückt. Lass uns da vorbeifahren. Ist doch wurscht, ob du denkst, es ist peinlich. In einem geklauten Lada ist eh nichts mehr peinlich. Zieh deine geile Jacke an, nimm deine Zeichnung und schwing deinen Arsch ins Auto.»
    «Never.»
    «Wir warten, bis es dämmert, und dann schwingst du deinen Arsch ins Auto.»
    «Nee.»
    «Und warum nicht?»
    «Ich bin nicht eingeladen.»
    «Du bist nicht eingeladen! Na und? Ich bin auch nicht eingeladen. Und weißt du, warum? Logisch, der Russenarsch ist nicht eingeladen. Aber weißt du, warum du nicht eingeladen bist? Siehst du – du weißt es nicht mal. Aber ich weiß es.»
    «Dann sag’s, du Held. Weil ich langweilig bin und scheiße ausseh.»
    Tschick schüttelte den Kopf. «Du siehst nicht scheiße aus. Oder vielleicht siehst du scheiße aus. Aber daran liegt’s nicht. Der Grund ist: Es gibt überhaupt keinen Grund, dich einzuladen. Du fällst nicht auf. Du musst auffallen, Mann.»
    «Was meinst du mit auffallen? Jeden Tag besoffen in die Schule kommen?»
    «Nein. Mein Gott. Aber wenn ich du wär und aussehen würde wie du und hier wohnen würde und solche Klamotten hätte, wär ich schon hundertmal eingeladen.»
    «Brauchst du Klamotten?»
    «Lenk nicht ab. Sobald es dämmert, fahren wir nach Werder.»
    «Never.»
    «Wir gehen nicht auf die Party. Wir fahren nur vorbei.»
    Was für eine endbescheuerte Idee. Genau genommen waren es gleich drei Ideen, und jede einzelne davon war bescheuert: Uneingeladen aufkreuzen, mit dem Lada quer durch Berlin, und – am bescheuertsten von allen – die Zeichnung mitnehmen. Denn eins war mal klar: Auch Tatjana würde merken, was es mit dieser Zeichnung auf sich hatte. Ich wollte auf keinen Fall da hin.
    Während Tschick mich nach Werder kutschierte, erzählte ich unaufhörlich, dass ich da nicht hinwollte. Erst sagte ich, er solle umkehren, ich hätte es mir anders überlegt, dann behauptete ich, dass wir die genaue Adresse ja gar nicht wüssten, und dann schwor ich, dass ich auf keinen Fall aussteigen würde aus dem Lada.
    Während der ganzen langen Fahrt hielt ich die Hände in den Achseln. Diesmal nicht wegen Fingerabdrücken, sondern weil sie sonst gezittert hätten. Vor mir auf dem Armaturenbrett lag Beyoncé und zitterte auch.
    Bei aller Aufregung bemerkte ich immerhin, dass Tschick vorsichtiger fuhr als noch am Morgen. Er umging die zweispurigen Straßen und nahm lange vor roten Ampeln den Fuß vom Gas, damit wir nicht dastanden und Passanten zu uns reingucken konnten. Einmal mussten wir auf dem Seitenstreifen halten, weil es anfing zu regnen und der Scheibenwischer nicht funktionierte. Aber da waren wir schon fast raus aus Berlin. Es schüttete wie aus Eimern. Allerdings nur fünf Minuten lang, ein Gewitterregen. Danach roch die Luft wahnsinnig gut.
    Ich schaute durch die Windschutzscheibe, auf der der Fahrtwind die Tropfen auseinandertrieb, und mir fiel zum ersten Mal auf, wie merkwürdig es war, in einem Auto, das einem nicht gehörte, durch die Straßen zu gondeln, durch das abendliche Berlin, und dann raus über die Alleen im Westen und an einsamen Tankstellen vorbei und den Wegweisern nach Werder hinterher. Plötzlich stand die rote Sonne unter schwarzen Wolken. Ich sagte kein Wort mehr, und Tschick sagte auch nichts, und ich war froh, dass er so entschlossen auf die Party zuhielt, wo ich angeblich gar nicht hinwollte. Drei Monate lang hatte ich an nichts anderes gedacht – und jetzt passierte es eben, und ich würde mich vor Tatjana aufführen wie der lächerlichste Mensch.
    Das Haus war nicht schwer zu finden. Wir hätten es wahrscheinlich auch so gefunden, wenn wir die Straßen an der Havel abgefahren wären, aber gleich hinterm Ortseingang tauchten zwei Mountainbikes mit Schlafsäcken bepackt vor uns auf – André und noch irgendein Trottel. Tschick fuhr ihnen in sicherem Abstand hinterher, und dann sahen wir schon das Haus. Rot geklinkert, ein Vorgarten voller Fahrräder, vom See her ein Riesengeschrei. Noch hundert Meter entfernt. Ich rutschte von meinem Sitz hinunter in den Fußraum, während Tschick das Fenster runterkurbelte, lässig einen Ellenbogen raushängte und mit achteinhalb Stundenkilometern an der ganzen Gesellschaft vorbeifuhr.

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