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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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find’s wirklich nicht schlimm.»
    Hammer. Ich fand es auch nicht schlimm , wenn einer schwul ist. Auch wenn das nicht meine Vorstellung von Russland war, dass man da in Lederhosen mit Arsch offen rumlief. Aber dass ich Tatjana Cosic wie Luft behandelte, das war doch ein ziemlicher Witz, oder? Weil, natürlich behandelte ich sie wie Luft. Wie hätte ich sie denn sonst behandeln sollen? Für ein absolutes Nichts, eine gestörte Schlaftablette war das ja wohl immer noch die einzige Möglichkeit, sich nicht komplett lächerlich zu machen.
    «Du bist ein Idiot», sagte ich.
    «Ich komm damit klar. Hauptsache, du gehst mir nicht an die Rosette.»
    «Hör auf, das ist eklig.»
    «Mein Onkel –»
    «Scheiß auf deinen Onkel! Ich bin nicht schwul, Mann. Ist dir noch nicht aufgefallen, dass ich die ganze Zeit eine Scheißlaune hab?»
    «Weil ich nicht blinke?»
    «Nein! Weil ich nicht schwul bin, du Penner!»
    Tschick guckte mich verständnislos an. Ich schwieg. Ich wollte das nicht erklären. Ich wollte es nicht einmal gesagt haben, das war mir nur so rausgerutscht. Ich hatte noch nie mit jemandem über so Sachen geredet, und ich wollte nicht jetzt damit anfangen.
    «Versteh ich nicht. Muss ich das verstehen?», sagte Tschick. «Du bist nicht schwul, weil du scheiße drauf bist oder was? Hä?»
    Ich guckte beleidigt aus dem Fenster. Gut war immerhin, dass es mir nun schon ganz egal war, dass wir gerade an einer roten Ampel hielten, von zwei Rentnern durch die Windschutzscheibe angestarrt wurden und uns demnächst die Polizei abräumen würde. Ich wünschte mir sogar, dass die Polizei uns abräumen würde. Dann wäre endlich mal was los.
    «Also Scheißlaune – warum?»
    «Weil heute der Tag ist, Mann.»
    «Was für ein Tag?»
    «Die Party, du Penner. Tatjanas Party.»
    «Du musst jetzt keinen Mist erzählen, nur weil du sexuell desorientiert bist. Gestern wolltest du da nicht mal hin.»
    «Und ob ich da hinwollte.»
    «Ich find’s nicht schlimm», sagte Tschick und legte mir eine Hand aufs Knie. «Mich interessieren deine sexuellen Probleme doch überhaupt nicht, und ich erzähl’s auch nicht weiter, ich schwör’s.»
    «Ich kann’s beweisen», sagte ich. «Soll ich’s dir beweisen?»
    «Mir beweisen, dass du nicht schwul bist? Uh-ah-ah.» Er wedelte mit den Händen unsichtbare Fliegen weg.
    Da waren wir schon am Springpfuhl vorbei. Tschick parkte diesmal nicht direkt vor unserm Haus, sondern in einer kleinen Seitenstraße, einer Sackgasse, wo uns keiner beim Aussteigen sah, und als wir endlich oben bei mir waren und Tschick mich immer noch anguckte, als hätte er wer weiß was über mich rausgefunden, sagte ich: «Mach mich nicht verantwortlich für das, was du jetzt zu sehen kriegst. Und lach nicht. Wenn du lachst –»
    «Ich lach ja nicht.»
    «Tatjana geht kaputt auf Beyoncé, das weißt du?»
    «Ja, klar. Ich hätt ihr eine CD geklaut, wenn sie mich eingeladen hätte.»
    «Ja. Jedenfalls … das da.»
    Ich holte die Zeichnung aus der Schublade. Tschick nahm sie, hielt sie mit ausgestreckten Armen vor sich hin und starrte sie an. Er schenkte der Zeichnung aber erst mal nicht so viel Beachtung wie der Rückseite, wo ich den Riss säuberlich mit Tesafilm geklebt hatte, sodass er von vorne kaum noch zu sehen war. Er guckte sich diesen Riss ganz genau an und dann nochmal die Zeichnung, und dann sagte er: «Du hast ja Gefühle.»
    Er sagte das im Ernst, ohne jeden Scheiß. Das fand ich reichlich merkwürdig. Und es war das erste Mal, dass ich dachte: Der ist ja wirklich gar nicht so doof. Tschick hatte diesen Riss gesehen und sofort gemerkt, was los war. Ich glaube, ich kenn nicht viele Leute, die das sofort gemerkt hätten. Tschick schaute mich ganz ernst an, und das mochte ich an ihm. Er war jemand, der ziemlich komisch sein konnte. Aber wenn’s drauf ankam, war er eben auch nicht komisch, sondern ernst.
    «Wie lang hast du dafür gebraucht? Drei Monate? Das sieht ja aus wie ’n Foto. Und was willst du jetzt damit machen?»
    «Nichts.»
    «Du musst doch was machen damit.»
    «Was soll ich denn machen? Soll ich zu Tatjana gehen und sagen, herzlichen Glückwunsch, ich hab hier ein kleines Geschenk für dich zum Geburtstag – und es stört mich auch überhaupt nicht, dass ich nicht eingeladen bin und jeder andere Spacken schon, ja wirklich, kein Problem. Und ich komm hier auch nur zufällig vorbei und geh auch gleich wieder – viel Spaß mit dieser Zeichnung, an der ich mir drei Monate lang den Arsch

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