Tschoklet
laut »Halt! Halt!« und konnte sich gerade noch durch das riesige Holzportal quetschen, bevor es von den verdutzten Wachmännern ganz geschlossen wurde.
Der Franzose rannte an dem hellolivgrün gestrichenen Eisenzaun der Kaserne entlang, bis er vor dem verschlossenen Tor des Haupteingangs stand. Edwards war nur wenige Schritte hinter ihm und stützte sich schwer atmend an dem steinernen Wappen neben dem Tor ab. Als er genauer hinsah, erkannte er einen in gelben Sandstein gehauenen, kopflosen Adler auf einem von Eichenlaub umrankten Hakenkreuz sitzen. Das Hakenkreuz war an vielen Stellen bereits grob mit Hammer und Meißel zerstört worden.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Moltkestraße hielten die beiden amerikanischen Fahrzeuge der Scouts an.
»Mon dieu – Mein Gott! Das ist ein Katastrophe! Sie sind sich wirklich sicher, Mademoiselle?«
Christine nickte nun schon zum dritten Mal und beschrieb den Patienten ein weiteres Mal, so gut sie konnte. Der Pförtner bestätigte die Aussagen. Der Mann auf dem Foto, welches rechts neben ihr an der Wand hing, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Verletzten im Krankenhaus. Jannaux hatte sofort Großalarm ausgelöst, als das Mädchen den Mann beschrieb, den sie im Krankenhaus-Areal getroffen hatte. Zwischenzeitlich war ihr wieder eingefallen, dass der falsche Patient mit dem Namen Harrison ein Scharfschütze der US-Armee sei und vermutlich desertiert wäre. Des Weiteren hätte sie versehentlich ihren Mantel beim Pförtner hängen gelassen.
Außerhalb des Besprechungsraumes der Gendarmerie ging es zu wie in einem Bienenstock, wo ein Bär gerade Honig klaute. Alles rannte in der Gegend herum, ganze Hundertschaften der französischen Gendarmerie besetzten die gepanzerten Autos und rasten in alle Richtungen aus der Kaserne heraus, um nach dem falschen Barricourt zu fahnden. Die nach wie vor heulende Sirene sorgte im westlichen Stadtgebiet von Karlsruhe für helle Aufregung unter den Besatzern und der Zivilbevölkerung.
Kapitel 26
Chuck Harrison hatte es sich in dem Hinterhof zwischen zwei Stapeln Brennholz bequem gemacht und war in der lauen Frühsommerluft schnell eingeschlafen. Er hörte nicht die Fahrzeuge, die mit heulenden Sirenen an dem Haus vorüberfuhren. Er hörte auch nicht das Geschrei der Soldaten, die direkt neben dem Haus eine Straßensperre aufbauten und den kompletten Verkehr auf der Kaiserallee und der Yorckstraße zum Erliegen brachten.
Beim Durchzwängen durch das große Hoftor war die frisch genähte Schusswunde wieder etwas aufgeplatzt, das Blut sickerte langsam durch den Verband und färbte zuerst diesen und dann den Pullover am rechten Oberarm dunkelrot.
Mit einem überfreundlichen Händedruck und reichen Worten des Dankes verabschiedete Sous-Lieutenant Jannaux die junge Frau und entließ sie zu den draußen wartenden Amerikanern. Ein abgehetzt wirkender Soldat überreichte ihr noch den vergessenen Mantel.
Christine stieg, so schnell sie konnte, in den bereitstehenden Dodge zu Letchus und Cemposano. Der bohrende Blick des Gendarmen hatte sie sehr verunsichert. Sie hatte beim Verhör ständig das Gefühl gehabt, nicht der Zeuge, sondern die Täterin gewesen zu sein. Darüber hinaus empfand sie dessen dummes Grinsen als sehr unangenehm. Er hatte sie die ganze Zeit über nur angestarrt, statt den wichtigen Hinweisen zum Verschwinden des Polizeichefs zuzuhören. Dieser Offizier würde Frauen nie so schätzen können, wie es Roebuck tat. Dieser war einfühlsam, zärtlich, nicht drängend, und bemühte sich mit einer stoischen Ruhe, ihr Deutsch zu verstehen. Obwohl sie ihn erst knapp eine Woche kannte, hatte sich eine große Vertrauensbasis entwickelt. Nach anfänglicher Skepsis der anderen Soldaten waren alle inzwischen zu guten Freunden geworden. Zwischen den Scouts bestand eine Art von magischem Zusammenhalt. Amos Letchus und Joey Vickers, die beiden alten Hasen des Teams, sorgten stets dafür, dass niemand benachteiligt wurde.
Christine wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als die Fahrzeuge abrupt in der Reinhard-Heydrich-Straße {27} neben einer ausgebombten Kirche halten mussten. Ein mit Bauholz, Zement und Ziegelsteinen beladener Pferdewagen war mitten auf der Straße mit Achsbruch liegen geblieben. Eine große Menge der roten Ziegel waren von der niedrigen Ladefläche des gummibereiften Wagens gerutscht und teilweise zerbrochen. Ein weiteres Gespann hatte man bereits herbeigeholt und drei schimpfende Karlsruher waren nun dabei,
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