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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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festhielt. Sie lehnte sich mit dem Rücken an ihn. Da sie noch immer Prestons dicke Uniformjacke trug, war keinem aufgefallen, dass er mit seiner rechten Hand unter ihre Bluse gefahren war und zärtlich ihren Bauch um ihren Nabel herum streichelte. Anfangs hatte sie eine nicht enden wollende Gänsehaut bekommen, bis er über den Rücken weiter zur Hüfte hinabfuhr und sie ihren Kopf zu ihm wandte und ihn leise anhauchte: »Anthony!«
    Dann hatte sie seine forschende Hand unter dem Hemd hervorgezogen und sie mit ihrer eigenen zusammen in die warme Jackentasche gesteckt.
    5:42 Uhr zeigten die Leuchtzeiger seiner Uhr, dem einzig nichtmilitärischen Teil an seiner Uniform. Aus dem Lastwagen hörte man Letchus laut schnarchen, wie immer. Der junge Cemposano lag mangels Platz innerhalb der Fahrzeuge, lediglich von einer Decke umhüllt, in voller Uniform unter dem Halbkettenfahrzeug. Nur seine Stiefel schauten heraus.
    Von dort her kam ein Rascheln und leises Quietschen der Heckklappe. Kurz darauf stieg Vickers in Hose, Unterhemd und noch ungebundenen Stiefeln aus, sah sich kurz um, erkannte im fahlen Licht Roebuck vor der Ruine und schlurfte langsam zu ihm hinüber. Seine um den Hals hängenden Erkennungsmarken glitzerten kurz auf.
    Seit der Sache mit Justus Maier war Joey ein anderer Mensch geworden, dachte er sich. Joey war still, traurig und seltsam in sich gekehrt. Er lachte kaum noch und ging persönlichen Gesprächen aus dem Weg. Dafür rauchte er vier Packungen Zigaretten am Tag. Sein Blick schien in der Ferne nach einem Punkt zu suchen, er sah niemandem mehr direkt ins Gesicht. Er schien in den letzten Stunden um Jahre gealtert zu sein. Auch die anderen machten sich bereits Sorgen.
    Vickers stand kurz vor Roebuck, brummelte ein kurzes »Morgen«, kratzte sich am unrasierten Kinn und ließ sich neben ihm an der Hauswand nieder. Er stützte seinen Kopf auf beide Hände, die Ellenbogen auf die angezogenen Knie. Wieder starrte er schweigsam in die Ferne.
    Anthony blickte ihn eine Weile von der Seite an, zog zwei Zigaretten aus der neben ihm liegenden Chesterfield-Packung, zündete sie an und gab eine davon an Joey weiter. Schweigend rauchten sie und hörten einer Amsel bei ihrem Morgenlied zu.
    Vickers weinte wieder und schniefte durch die Nase.
    »Er ist einfach so gestorben, Tony. Ich konnte nichts tun. Er hat mich an meinen Dad erinnert. Tot, einfach so. Wegen einer Schraube und ’nem Scheiß Rohr. Ich konnte die verdammte Blutung nicht stoppen!«
    »Aber dein Dad lebt doch noch?«
    »Weiß nicht. Ich habe noch nie Post von Zuhause bekommen. Vielleicht haben sie mich vergessen. Einen Brief hab ich mal bekommen, von Bob und Jeremy. Aber nicht von Mom und Dad. Ich denke, sie haben mich vergessen. Mein Dad hielt nie was von der Army. Er sagte nur: ›Bis bald, Junge‹, als würde ich in Urlaub fahren. Ich glaube, es hat ihn nicht interessiert, dass ich als Soldat mein Leben riskiere. Und meine Mum sagte gar nichts. Sie hielt sich an Dad fest und weinte nur.« Nach einer Pause setzte er noch hinzu: »Sie sahen mich nicht mal an, als ich ging.« Er atmete tief durch und schniefte wieder.
    »Bob und Jeremy sind deine Brüder?«
    »Nee, meine Jungs in der Werkstatt. Wir haben Autos repariert und waren am Wochenende immer zusammen beim Football. Florida Gators, schon mal gehört? Sie haben mir die letzten Ergebnisse der Gators-Saison mitgeteilt. Zeitung gibt’s hier ja nicht.«
    »Du spielst Football, Joey?«
    »Nee, mein Dad ist Sponsor der Universitäts-Mannschaft.«
    »Sponsor?«
    »Ja, er gibt ihnen Geld für die Ausrüstung und so. Dafür darf er Werbung im Stadion machen. Für unsere Autowerkstatt. Lief spitzenmäßig. Und du hast freien Eintritt zu allen Spielen.«
    »Habe ich noch nie gehört. Sag mal, wieso schreibst du nicht mal deinen Eltern?«
    »Glaubst du, sie lesen das?« Er schniefte wieder.
    »Ja, ich denke schon. Meine Eltern hätten sich wie an Weihnachten gefreut, wenn sie Post bekommen hätten.«
    »Hätten?«
    »Sie sind beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Vor dreieinhalb Jahren.«
    »Scheiße.«
    »Mmmh. Es war die schwierigste Zeit meines Lebens. Ich habe zehn Tage nur geweint. Irgendwann bekommst du aber eine andere Sichtweise darüber.« Roebuck starrte in den Himmel, wo sich noch letzte Wolkenfetzen von dem Regenschauer befanden. Ein einsamer Stern funkelte zu ihm herunter.
    »Wieso?«
    »Du findest Abstand. Irgendjemand, den du vorher so gar nicht kanntest, tritt an dich heran und

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