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Tschoklet

Titel: Tschoklet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Pflug
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Lagerfeuer. Letchus hatte eigentlich recht, dachte er sich, diese Aktion hätte wirklich schiefgehen können. Er hatte erst überlegt, ob er den Unteroffizier vor allen anschreien sollte, da er die Befehle eines Offiziers infrage stellte, hatte sich aber dann für den kameradschaftlichen Weg entschieden. Das war sicherlich auch besser, denn der Funker hatte zuvor einen richtigen Schweißausbruch bekommen, als er die entsprechenden Worte von sich gab. Edwards beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen, zukünftige Aktionen mit dem Mädchen aber besser zu überdenken. Das ihm jetzt noch bevorstehende Gespräch mit Christine lag ihm schon jetzt schwer im Magen. Fieberhaft überlegte er, wie er die Geschehnisse am besten formulieren konnte. Christine hatte in der baufälligen Scheune einen Holztrog mit sauberem Regenwasser entdeckt und sich erst mal alleine gebadet und ihre Haare gewaschen.
    Als die Fahrer die Motoren der Fahrzeuge starteten, kam sie in Prestons Uniform und mit einem grünen Armeehandtuch um den Kopf aus dem Gebäude und lachte die übrigen Mitglieder des Scout Squads an. Edwards nahm sie sich gleich beiseite und informierte sie: »Hör zu, Blondie, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht aus Ketsch bekommen. Welche möchtest du zuerst hören?«
    Christine wurde augenblicklich bleich und fing an zu zittern. Das Handtuch glitt zu Boden und legte ihre ungleich langen, blonden Haare frei, die wieder wie nasse Stacheln von ihrem Kopf abstanden.
    »Die schlechte Nachricht«, flüsterte sie und starrte den Offizier an. Das Lachen in ihrem Gesicht wich dem Entsetzen.
    »Dollmanns Hof wurde von der Ketscher Bevölkerung geplündert und von den Amerikanern anschließend gesprengt. Alles ist zerstört worden.«
    »Oh, mein Gott! Das Haus war so schön.«
    »Ich weiß. Es war schön. Aber sein Inneres barg ein grausames Geheimnis. In dem Safe waren geraubter Schmuck, Zahngold und persönliche Dinge von ermordeten jüdischen Zwangsarbeitern aus Frankreich. Das durch den Waffenhandel gekaufte Land wird wieder aufgeteilt und an die ehemaligen Eigentümer gegeben.«
    Das Mädchen schlug vor Schreck die Hände vors Gesicht. »Das ist ja furchtbar! Die armen Leute. Mr Edwards, erzählen Sie bitte nichts über das Gold, wenn Sergeant Letchus dabei ist.«
    »Nein? Warum denn nicht?«
    »Seine Verlobte in New York ist eine französische Jüdin. Wenn er das mit dem Schmuck hört, wird er alle Deutschen, die er zukünftig trifft, hassen und verachten. Ich bin eine Deutsche. Und vielleicht trifft mich sein Hass als Erste. Das möchte ich nicht. Ich möchte nicht mit dem Knecht auf eine Ebene gestellt werden.«
    Edwards sah sie ernst an. Hatten ihr Vater oder der Pfarrer ihr nichts über ihre Herkunft erzählt? Jedenfalls war das jetzt nicht seine, Edwards, Aufgabe. Do your job!
    Der Captain schluckte den Kloß im Hals herunter und holte tief Luft.
    »Noch die gute Nachricht?«, flüsterte er.
    »Ja, meinetwegen. Eigentlich gibt es keine guten Nachrichten in dieser Zeit.«
    Doch, Christine, diese schon. Er hätte diese kleine, süße Frau am liebsten erst einmal umarmt und gedrückt, riss sich jedoch zusammen.
    »Vorgestern wurde Edgar Kohler in Wiesbaden der Prozess gemacht. Aufgrund der Schwere der Tat und der Uneinsichtigkeit haben die Schöffen schnell und einstimmig entschieden. Edgar wurde am späten Nachmittag durch ein Exekutions-Kommando erschossen. Dem anwesenden Militärpfarrer hatte er zuvor ins Gesicht gespuckt.«
    Das blonde Mädchen starrte ihn an, sekundenlang fixierte sie den Blick des Offiziers und suchte nach dem Scherz in seinen Augen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, ein Lächeln umspielte ihre Lippen und zuckte nervös durchs Gesicht. Ihre zitternden Hände suchten nach Halt, fanden ihn aber nicht, deshalb steckte sie sie kurz in die Hosentaschen. Im nächsten Augenblick fing sie an zu schreien, sie schrie, so laut sie konnte. Die angestaute Angst löste sich von ihr und fiel wie ein Felsbrocken herunter. Dann umarmte sie Edwards und schluchzte laut heraus. Ihre Tränen durchnässten seinen Hemdkragen. Sie drückte ihren noch nassen Kopf an seine Brust und schrie: »Danke!« Immer wieder: »Danke!« Schließlich sank sie weinend auf den Boden, zwischendurch war ein leises Kichern zu hören.
    Der Captain stand mit herabhängenden Armen vor ihr, sah auf sie herunter und weinte auch. In seinem Rücken spürte er die bohrenden Blicke der Scouts, die nicht wussten, was hier gerade geschah.

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