Tsunamis - Entstehung, Geschichte, Prävention
dramatischen Bildern, dem Reiz des Unmöglichen. Besonders das Bild der Schiffe, die weit landeinwärts versetzt wurden oder aber auf Häuserdächern strandeten, hat es Ammianus (wie auch seinen Vorgängern) angetan; auch in späteren Jahrhunderten und bis heute wird dieses eindrucksvolle Bild von der Kraft eines Tsunamis immer wieder bemüht. Die Menschen dagegen, denen die Tsunamigefahr im seismisch aktiven Ostmittelmeerraum eigentlich als kulturelles Erbe bewusst sein müsste, werden als ahnungslos-naive Opfer geschildert, die sich von der leichten Beute auf dem bloßliegenden Meeresgrund verführen lassen.
Trotz des Detailreichtums – dem Ammianus auch Übertreibungen hinzufügt, wie etwa die unterseeischen Täler und Gebirgslandschaften, auf die beim Rückzug des Wassers angeblich erstmals das Licht der Sonne fiel – ist die Darstellung eine bewusst universale: Bis zum Schluss, als Ammianus die Städte Alexandria und Methone erwähnt, ist das Geschehen geographisch nicht fixiert. Der Fokus des Berichts liegt auf dem Sehen aus verschiedenen Blickwinkeln, ohne dass gesagt wird, wer eigentlich sieht und von welchem Standpunkt aus. Der Tsunami wird somit zum weltumfassenden Ereignis; erst am Ende fügt Ammianus sich selbst als Erzählerautorität ins Bild ein.
In Wirklichkeit war das Erdbeben von 365 n. Chr. kein universales Ereignis, sondern wird geologisch lediglich als ein besonders starkes Beben innerhalb einer seismisch aktiven Periode im östlichen Mittelmeerraum eingeordnet. In der aktuellen Forschung verortet man das Epizentrum vor der Südküste Kretas; die Magnitude wird bei 8 oder höher geschätzt. Der Tsunami, der in den Morgenstunden des 21. Juli 365 die Küsten von Kreta, Zypern, Zentral- und Südgriechenland, Ägypten, Nordlibyenund Sizilien erreichte, tötete Tausende von Menschen und zerstörte oder beschädigte zahlreiche Küstenstädte und ganze Flotten. In Alexandria waren die Auswirkungen des Tsunamis so verheerend, dass man dort noch Ende des 6. Jahrhunderts am «Tag des Erdbebens», nämlich dem 21. Juli, der Katastrophe und ihrer Opfer gedachte.
Schiffe, die weit ins Land gespült wurden, werden in Beschreibungen von Tsunamis immer wieder erwähnt: Sie versinnbildlichen die enorme Kraft der Welle. Hier Bilder von den Katastrophen Krakatau 1883 und Tōhoku 2011.
Seit 365 war der Tsunami als Bedrohung im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung des östlichen Mittelmeerraums wieder unmittelbar präsent.
Lissabon 1755
Im tiefkatholischen Lissabon hatte sich die Bevölkerung am 1. November 1755, dem Allerheiligenfest, zu festlichen Gottesdiensten in den Kirchen der Stadt versammelt. Lissabon galt als eine der glanzvollsten Metropolen Europas, eine Weltstadt mit prächtigen Palästen und Kathedralen, ein Handelszentrum mit großem Hafen, als «Haupt Europas» das Tor in die Welt. Mit 275.000 Einwohnern gehörte Lissabon damals zu den größten Städten des Kontinents.
Um 9.40 Uhr erschütterte ein Erdbeben die Stadt. Es muss, so rekonstruieren Geophysiker und Geologen, eines der stärksten Erdbeben gewesen sein, die historisch dokumentiert sind, vermutlich mit einer Magnitude von 9 oder mehr. Das Epizentrum lag rund 100 Kilometer südwestlich von Lissabon im Atlantik. Das Beben dauerte zehn Minuten lang, mit drei besonders starken Stößen. Südportugal und Nordwestafrika wurden davon getroffen, aber es war sogar bis nach Italien, Belgien und Großbritannien zu spüren. Große Teile von Lissabon und der Städte Fez und Mequinez im Norden Marokkos stürzten einfach zusammen, wie auch zahllose kleinere Orte in Südportugal und Nordafrika.
Viele der Gläubigen in Lissabons Kirchen waren sofort tot, erschlagen von herabfallenden Steinen und Dachteilen. Im Nu stand die Stadt in Flammen: In Lissabons Kirchen brannten am Allerheiligenfest unzählige Kerzen, und die vielen Holzhäuser hatten offene Herdstellen. Ein Feuersturm ging über die Stadt. Diejenigen, die das Erdbeben überlebt hatten, flüchteten dorthin,wo sie meinten, vor den Flammen sicher zu sein: an den Hafen und an den Fluss Tejo. Viele stiegen in die dort liegenden Boote. Und dann sahen sie sich, verstört von dem gerade Erlebten, dem nächsten Naturschauspiel gegenüber: Das Wasser zog sich weit zurück, die Flussmündung und die Bucht lagen mit einem Mal frei. Wenige Minuten später brach nach Erdbeben und Feuersbrunst das dritte Element über die Stadt herein: Eine Riesenwelle mit 15 Metern Auflaufhöhe
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