Tsunamis - Entstehung, Geschichte, Prävention
gab es schlichtweg nicht; dem Großteil der Bevölkerung war das Wort «Tsunami» gar nicht bekannt. Und auch die Urlauber rechneten nicht damit, dass die paradiesischen Strände Thailands plötzlich zur tödlichen Falle werden könnten. Bilder und Amateurvideos der Katastrophe zeigen immer wieder Menschen, die der Welle gebannt entgegensehen, statt zu fliehen. Demgegenüber wird in vielen Berichten das traditionelle Wissen der Urvölker auf einigen Inseln erwähnt, die das Zurückweichen des Wassers als Gefahrenzeichen zu deuten wussten und dadurch rechtzeitig auf höheres Gelände flohen. Besonders beliebt ist die schöne Geschichte von Tilly Smith, der kleinen Engländerin, die im Erdkundeunterricht gerade das Thema Tsunami durchgenommen hatte und daher das seltsame Verhalten des Wassers zu deuten wusste. Während die englische Boulevardzeitung
Sun
daraus das Märchen vom rettenden Engel strickte, vom zehnjährigen Mädchen aus England, das angeblich die Evakuierung eines gesamten Strandes veranlasste und so rund hundert Menschen das Leben rettete, gibt es auch eine prosaische Version der Geschichte: Die Mutter hörte nicht auf die Warnversuche ihrer panischen Tochter, das Mädchen rannte allein zum Hotel hoch und musste ohnmächtig zusehen, wie ihre Mutter mit knapper Not entkam, während andere Menschen von der Welle erfasst wurden.
Zuerst traf die Welle auf die Nordwestküste von Sumatra. Die nördlichen Stadtteile von Banda Aceh, etwa 300 Kilometer vom Epizentrum entfernt, wurden fast vollständig zerstört. Leichen säumten die Ufer, als der Fischer Sofyan Anzib am Abend des 26. Dezember mit seiner Besatzung vom Meer zurückkehrte; im Hafen waren nur noch die Gerippe der dreistöckigen Gebäude übrig. Bis zwei Kilometer landeinwärts stand gar nichts mehr. Dann kamen die Ruinen. Und Tausende von Toten, die imWasser trieben, im Schlamm feststeckten, rechts und links der Hafeneinfahrt auf den Dämmen lagen. Die dicht besiedelten Viertel Gampong Pande, Gampong Jawa, Lamdingin, Peunayong gab es nicht mehr. Später zeigte sich, dass ganze Berufsgruppen, wie etwa Ärzte oder Lehrer, in Banda Aceh fast vollständig ausgelöscht waren. Insgesamt gab es an der indonesischen Küste über 200.000 Tote und Vermisste; nach Schätzungen von Hilfsorganisationen verloren über 600.000 Menschen Haus und Heimat.
Fast ebenso schnell wie in Nordsumatra, keine zwanzig Minuten nach dem Beben, trafen die Tsunamiwellen auf die Nikobaren und Andamanen, die beiden zu Indien gehörenden Inselgruppen, die unmittelbar am nördlichen Ende der Bruchzone liegen. Mit bis zu 10 Metern Auflaufhöhe verwüsteten drei Wellen die flachen Strände der Nikobaren; fast 6000 Menschen kamen hier ums Leben.
Bis nach Phuket, der Urlaubsinsel im Süden Thailands, brauchte der Tsunami zwei Stunden. Da der Meeresboden erst kurz vor der Küste steil ansteigt, konnten die Wellen sich vor der Insel nicht so hoch aufstauen; maximal 6,4 Meter hoch war der Tsunami, der Phuket erreichte. Das genügte jedoch, um Strände, Küstenorte und das flache Hinterland dem Erdboden gleichzumachen. 279 Menschen starben, 642 wurden vermisst gemeldet. Wer konnte, warnte unmittelbar nach der Katastrophe Freunde und Kollegen an den nördlich gelegenen Stränden von Khao Lak. Dort wusste man nicht, was man sich unter der «Flutwelle» vorzustellen hatte, die aus Süden gemeldet wurde: Einen Tsunami hatte noch niemand erlebt. Um 10.20 Uhr traf die erste Welle auf den Küstenstreifen von Khao Lak, mit einer weitaus größeren Wucht als bei Phuket. Denn das Meeresbodenprofil vor Khao Lak ist perfekt: keine Korallenriffs, keine Felsen, keine plötzlichen Erhebungen, sondern ein langgezogener, gleichmäßiger Anstieg, auf dem die Welle ungehindert anrollen und sich zuletzt aufstauen konnte. Eine Wasserwand, bis zu 10 Meter hoch: «Die Kraft der Natur macht ein Hotel nach dem anderen dem Erdboden gleich. Jeder Kubikmeter Wasser, also ein Würfel von ein mal ein mal ein Meter, wiegt 1000 Kilogramm,hat ungefähr das Gewicht eines Kleinwagens. Ein 10 Meter breites Wellenstück, 5 Meter hoch, 36 Stundenkilometer schnell, schiebt innerhalb einer Sekunde mit der Wucht eines voll besetzten Parkhauses vorbei.» (Schnibben 2005, S. 127)
Mit dieser Wucht brach der Tsunami über Khao Lak herein. Nicht eine Welle, sondern das ganze Meer. Außer vielstöckigen Stahlbetonbauten wurden an der Küste alle Gebäude weggespült. Menschen wurden mitgerissen, ertränkt, von Treibgut
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