TTB 100: Der Traum der Maschine
Komposition heraus. Ein Dünenkamm zerschmolz und ging in eine Hochfläche über, auf der die konischen Türme standen. Blutrot dominierend stand die Scheibe einer riesigen Sonne dahinter und überschüttete die Landschaft mit unwirklich grellem Licht. Vier Männer, ebenso fremd gekleidet, schleppten fast zusammenbrechend einen Gegenstand, der nicht zu erkennen war.
Hieß der Träumer nicht Anhetes?
Nicholas hielt inne und dachte nach. Während er gemalt hatte, waren Traum und Wirklichkeit zu einer Einheit verschmolzen; sie schien unlösbar. Er arbeitete wie auf einer Insel, in einer Zone der Ausgeschlossenheit. Hastig und doch zielstrebig waren die Linien, die über das Papier geworfen wurden. Nicholas malte unter einer unsichtbaren Glasglocke, die alles aus der realen Umgebung von ihm fernhielt.
Nicholas zerbrach die Glocke, als er aufhörte. Die blaue Kreide, mit der er dem Himmel über der unwirklichen Szene Farbe gegeben hatte, fiel zu Boden.
Der Arm schmerzte! Nicholas wandte den Blick vom Papier und tastete den Unterarm ab. Eine Handbreit oberhalb des Handgelenks war am rechten Arm eine entzündete Stelle. Nicholas blickte schärfer hin und entdeckte unter der Haut einen langen Holzsplitter. Er kramte in dem Wirrwarr aus Scheren, Farben und Ziehfedern, bis er eine Pinzette fand. Er bog den Hautfetzen, der den Splitter verdeckte, zurück, biß die Zähne aufeinander und riß den Splitter aus der Wunde. Über dem Schnitt erschien ein dunkler Blutstropfen.
Der Splitter war schwarz und aus einem Holz, das ungewöhnlich hart war. Nicholas konnte ihn fast nicht zerbrechen. Diese Verletzung hätte er spüren müssen, als er sie sich zuzog. Wo ...?
In Michels Bar? Nein!
Unterwegs – ausgeschlossen! Er spürte, wie sich sein Rücken versteifte und eiskalt wurde.
Wo kam diese Wunde her?
War es an der Theke der Caverne gewesen? Er konnte sich nicht erinnern, einen Schmerz gespürt zu haben. Die Couch? Unmöglich! Als ob die Szenen eines phantastischen Films an ihm vorbeizogen, erinnerte sich Nicholas. Ein kleines Boot, das über den Spiegel eines geschwungenen Flußlaufes fuhr, lautlos unter dem Licht fremder Sterne. Die Erinnerung verblaßte schlagartig. Vielleicht rührte der Splitter von der Bordwand des Nachens her?
»Du bist im Begriffe überzuschnappen«, sagte Nicholas laut zu sich selbst. Claudine wachte auf und hob den Kopf. Sie fragte schläfrig:
»Was ist?«
Sie erhielt keine Antwort.
Nicholas hockte da, ihren Blicken durch die geschwungene Lehne des Stuhles entzogen, und starrte die Fläche des Bildes an. Er war nicht mehr er selbst gewesen – er war der Mann, der diese Türme gesehen und einen von ihnen erbaut hatte.
Claudine fragte nicht mehr, sondern stand auf und ging hinaus. Nicholas sah und merkte nichts. Ihm hätte sonst auffallen müssen, wie verwundert und ratlos das Mädchen war. Claudine zog sich an und machte sich zurecht. Dann kam sie wieder herein und räumte das Bettzeug weg. Sie nahm das benutzte Geschirr vom Tisch und trug es hinaus – auch das Klappern der Teller auf dem Tablett hörte der Student nicht.
Dann begann der Kocher zu summen, und Wasser wurde heiß. Claudine verließ die kleine Wohnung, fuhr mit dem Lift hinunter und kaufte etwas zu essen, kam wieder herauf und sah, daß Nicholas immer noch halb angezogen im Sessel kauerte und vor sich hinstarrte.
Zehn Minuten vergingen.
Claudine räumte fast geräuschlos die Tischplatte leer, steckte die Bücher zurück, räumte die Schallplatten auf und wischte das Holz sauber. Sie deckte für zwei Personen.
»Nicholas?« fragte sie halblaut. Er gab keine Antwort.
Er saß zurückgelehnt da, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen und arbeitete mit den Kreiden. Er säumte die Scheibe der roten Sonne mit einer funkelnden Aura.
Claudine stand von der Couch auf und ging hinüber zum Sessel. Sie sah auf den ersten Blick, daß hier etwas nicht ganz in Ordnung war. Das Bild Williams lehnte am Fuß der Staffelei, und das andere Bild erkannte sie nicht.
»Nicholas – hörst du nicht?« fragte sie noch einmal.
Sie blickte herunter auf sein hellbraunes, verklebtes Haar. Mit einem heftigen Ruck hob er den Kopf.
»Was ... ach, Claudine«, und dann, nach einer kurzen Pause: »Ich habe furchtbar geträumt. Das ist das Ergebnis.« Er wies auf das Bild.
»Seit einer halben Stunde bist du nicht ansprechbar«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Tatsächlich?« fragte er.
»Ich habe den Tisch gedeckt«, antwortete sie. Nicholas
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