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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Musiker die ergreifenden Lieder gespielt. Jeder, der sie hörte, erstarrte innerlich in dumpfem Schmerz. Dann bewegte sich der farbige Zug wieder in die Stadt zurück.
    Anhetes, der mit Hara-mot zusammen den Abschluß erlebt hatte, fuhr mit einem Wagen zurück nach Zokesh. Morgen früh würde das drei Tage dauernde Fest beginnen, während dem Asor-meres-ti den Thron bestieg. Zu den Feierlichkeiten des neunzehnjährigen Herrschers war Anhetes in den Palast geladen worden.
    »Was wirst du heute abend tun?« fragte Hara-mot den Baumeister.
    »Still unter dem Portal des Taltempels stehen und mein Glück loben. Ein Teil der Kapitelle besteht aus Holz und Gips, anstatt aus massivem Stein. Ich hatte mich um drei Stunden verschätzt!«
    Hara-mot lächelte weise. Ein altes Lächeln ...
    »Tot-meres schätzte dich so sehr, daß er dir verziehen hätte. Er ordnete an, daß deine Lehre im Palast verkündet werden soll, daß auch der Turm von Asor-meres-ti von dir gebaut werde, und daß dein Lohn gewaltiger sei als alles, was bisher bekannt wurde. Das waren fast die letzten Worte des Sonnenkönigs. Er diktierte sie.«
    Anhetes schwieg überwältigt und stolz.
    »Der Herrscher sagte, du müßtest ein versteckter Weiser sein. Er sagte, du wärest vertraut und doch fremd, verbunden mit dieser Welt und scheinbar von einem Land, in das Tot-meres eingehen würde. Ein Fremder in unseren Kleidern ...«
    Hara-mot lächelte nicht mehr. Er schwieg wie ein Mann, der etwas gesagt hatte, woran er selbst nicht glauben durfte. Dann lächelte er knapp; nachsichtig dem Jüngeren gegenüber, der sein Leben und den Tod noch vor sich hatte.
    Das laute, farbige und hemmungslose Leben innerhalb der Mauern zog Anhetes wie ein Strudel ein und spie ihn spät wieder aus; trunken, lachend und matt. Kein Gedanke mehr an die kommenden Tage.
     
    *
     
    Alles um ihn herum war wie in dicke, schwarze Watte gepackt. Die Dinge schienen eine schleimige und zähe Konsistenz angenommen zu haben, einschließlich des Denkvermögens. Nicholas drehte seinen Kopf zur Seite, erfaßte verständnislos die Gegenstände seines Zimmers und blickte sie an, ohne sie zu erkennen. Unendlich langsam begriff er, wo er war. Es waren seine Bücher und die kleine Holzplastik zwischen den Buchrücken, seine vier Wände.
    Zuerst gehorchten ihm die Füße nicht. Dann brachte er es fertig, die Lähmung abzuschütteln und die Glieder zu bewegen. Jeder Muskel und jeder Nerv schien sich in einer Art schmerzenden Aufruhrs zu befinden. Es war ein qualvoller Zustand – unheimlich und neuartig.
    Endlich stand Nicholas zitternd neben der Couch. Er war am ganzen Körper in Schweiß gebadet. Er atmete tief ein und aus; langsam klärte sich sein Bewußtsein.
    »Verdammt«, sagte er mühsam. Dann wandte er sich zur Tür, kam durch den kleinen Vorraum und erreichte die Toilette. Dort übergab er sich.
    Zehn Minuten später saß er vor dem Kühlschrank und trank Orangensaft aus der Büchse. Die einzelnen Szenen eines bunten Traumes waren in seinen Gedanken derart fest verankert, daß er glaubte, sie eben selbst erlebt zu haben.
    »Verdammt«, sagte er ein zweites Mal, stand auf und ging schnell ins Studio zurück. Er kümmerte sich um nichts. Weder um die offensichtliche Unordnung, die um den Tisch und die Couch herrschte, noch um Claudine oder um irgend etwas anderes. Er ging hinüber zur Staffelei, in der unbeweglich und markant William Cherborg in Öl lächelte und klemmte das Bild aus. Er lehnte es achtlos an den Fuß des Holzgestells, schob einen neuen Rahmen, der mit Spezialpapier bezogen war, zwischen die Klemmen und angelte mit dem Fuß nach dem kleinen Tischchen.
    Der schwere Sessel wurde herumgedreht, und Nicholas setzte sich. Er bot das Bild eines Fanatikers, wie er dahockte: Unrasiert, mit rotgeränderten Augen in tiefen Höhlen, zerzaustem Haar und in der Schlafanzughose. Er suchte aus den Malutensilien, die auf, dem Tisch lagen, Ölkreiden hervor. Zuerst eine schwarze Kreide; er fixierte kurz das Weiß des Papiers und zog dann schnell eine Horizontale.
    Er arbeitete wie ein Besessener ...
    Als hätte Nicholas Angst, die Eindrücke könnten sich in Nichts auflösen, glitten die Finger über das Bild. Gelbrote Dünen entstanden, darüber erhoben sich zwei wuchtige Türme. Sie beherrschten das Bild. Einer von ihnen purpurrot, der andere im kalkigen Weiß gemalt mit langen, roten Schatten. Von links schoben sich seltsame Gewächse ins Bild.
    Langsam schälten sich die einzelnen Teile der

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