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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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versuchte aufzustehen und setzte sich dann sofort wieder. Er war bleich geworden.
    »Ich habe Kopfschmerzen, und mir ist entsetzlich übel«, sagte er leise.
    »Es sind Tabletten in meiner Handtasche. Komm – trinke erst einmal eine Tasse Kaffee, sie wird dir nicht schaden.«
    »In Ordnung«, sagte Nicholas, stand unsicher auf und blickte an sich herunter.
    »Mich zwang ein merkwürdiges Gefühl, dieses Bild zu malen«, sagte er nachdenklich. »Jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich dazu kam. Ich weiß nicht mehr, was ich geträumt habe. Es muß etwas mit Dünen, Türmen und einer roten Sonne zu tun haben.«
    Nicholas kam einige Minuten später wieder zum Tisch zurück. Er war gewaschen und gekämmt und in einen weißen Frotteemantel gehüllt.
    »Ist dir besser?« fragte das Mädchen.
    Er schüttelte still den Kopf. Er sah elend aus. Claudine schüttelte drei Tabletten aus einem Röhrchen auf ihren Handteller und gab sie Nicholas. Dann deutete sie auf die Tasse, in der bereits gesüßter Kaffee war.
    »Hinunterschlucken und mit Kaffee nachspülen«, sagte sie. Nicholas gehorchte. Claudine stand auf und ging an ein Kästchen, das in der Nähe des Radios an der Wand befestigt war. Dort stand eine halbvolle Flasche Kognak. Das Mädchen entkorkte sie und ließ einen ziemlich großen Schluck in Nicholas' Kaffee fließen. Sofort breitete sich der Geruch des verdampfenden Alkohols in dem kleinen Raum aus.
    »Trinke den Kaffee aus und lege dich etwas hin«, sagte Claudine.
    Wortlos schlürfte Nicholas den heißen Kaffee mit Alkohol, dann legte er sich zurück und streckte sich aus. Einige Minuten später verlor sein Gesicht den bleichen, gehetzten Ausdruck und wirkte entspannter.
    »Ist dir jetzt gut?« fragte Claudine. Nicholas nickte und setzte sich wieder auf.
    »Einigermaßen«, meinte er. »Ich wachte gegen fünf Uhr auf«, fuhr er fort, und das Mädchen sah, daß ihn Nachdenken und Sprechen anstrengten, »trank ein Glas Orangensaft und schlief wieder ein. Dann wachte ich zum zweitenmal auf und hatte das Gefühl, etwas ungeheuer Eindringliches geträumt zu haben.
    Es muß mir wie Grenelle gegangen sein.
    Mir war entsetzlich übel, und ich wußte zuerst nicht, wo ich war. Dann erinnerte ich mich, und irgendeine fremde Kraft trieb mich zur Staffelei. Was daraus geworden ist, siehst du dort. Ich kann es nicht erklären.«
    Erschöpft schwieg der Student.
    »Ich glaube, du hast dir die Erklärungen unseres bärtigen Freundes etwas zu sehr zu Herzen genommen. Irgendwelche Eindrücke, die du während der letzten Tage gesammelt hast, sind dir im Kopf herumgegangen.«
    Nicholas schüttelte entschieden den Kopf.
    »Sieh dir erst einmal an, was ich dort«, er deutete zur Staffelei, die teilweise von der Lehne des Sessels verdeckt wurde, »verbrochen habe. Es hat mit nichts Ähnlichkeit, was wir kennen. Am ehesten noch mit Relikten des alten Ägyptens. Ich bin jetzt geneigt, Grenelles Thesen restlos anzuerkennen. Ich sage dir – es war furchtbar.«
    Je mehr sich Nicholas erholte, desto mehr sprach er. Er war aufgeregt und redete schnell. Claudine ging herüber, lehnte sich auf den Sessel und sah das Bild an. Das reflektierte Licht der Morgensonne fiel voll auf den Zeichenkarton.
    »Unwahrscheinlich«, murmelte Claudine.
    Was sie sah, war unwirklich; in keiner Kulturepoche hatte es auf der Erde so ausgesehen. Das Rot, in dem die einzelnen Komponenten des Bildes getaucht waren, war unheimlich. Das Bild war etwa einen halben Quadratmeter groß.
    »Hieronymus Bosch plus Apokalypse des Johannes – wie hast du das geschafft«, sagte Claudine zweifelnd. Sie schüttelte den Kopf. Nicholas sah sie mit brennenden Augen an.
    »Ich weiß es nicht. Das habe nicht ich gemalt, sondern etwas Fremdes in mir. Ich kann es nicht erklären. Ich weiß auch nicht mehr, was es darstellen soll.«
    Claudines Gesicht war eine Studie der Ratlosigkeit. Das Mädchen spürte, daß sich hier etwas abgespielt hatte, was jenseits des Begreifens lag. Rätselhafte Dinge waren in den letzten zwölf Stunden geschehen. Es paßte nicht in das Leben von Studenten, erinnerte an Mystik und Rätsel, die kein Mensch lösen konnte. Oder war es nur ein Spuk, der rasch vorüberging? Oder war Nicholas verrückt ...
    Claudine sah noch immer das Bild an. Es war nicht so sehr ihre Überzeugung, daß Nicholas hier etwas geschaffen hatte, das als absolute Kunst bezeichnet werden konnte. Claudine wußte, was sie dachte. Sie hatte Vergleichsmöglichkeiten; die anderen Maler, vor denen

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