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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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Striemen in die nackten Rücken unachtsamer Sklaven. Anhetes atmete tief ein.
    »Aufpassen, ihr dort drüben!« brüllte der Aufseher und drohte mit der Faust.
    Bis zum hereinbrechenden Abend leitete der Baumeister die Arbeiten. Als er seinen Wagen bestieg, waren die Graveure dabei, die Bildlegenden in großen Glyphen zu meißeln. Morgen früh würden sie damit und mit der Doppelmauer fertig sein. Erschöpft wanderten die Sklaven zu ihren Zelten, die außerhalb des Heiligen Hains aufgestellt waren. Anhetes ließ sich durch den Abend mit dem prächtigen Farbenspiel der Wolken nach Zokesh bringen.
    Als er wieder aus dem Haus trat, war eine knappe Stunde vergangen. Anhetes hatte gegessen und sich von Fard waschen und mit Öl massieren lassen. Er trug neue, prächtige Kleider und den Schmuck seines Vaters. Der Wagenlenker wartete bereits. Eine halbe Stunde später befand sich Anhetes mitten im Schilf des Dagras'. Die langen Halme raschelten unirdisch.
    Anhetes hatte die Hand am Dolchgriff.
    Er schritt unhörbar dem kleinen Hafen entgegen, der unter den Mauern des Palastes hinausführte in das Wasser des Dagras'. Hier lag das Licht Onegs noch nicht auf der schweigenden Landschaft des Flachufers. Aufgescheuchte Wasservögel flogen durch die Schilfstengel. Anhetes ging langsam geradeaus; eine seltsame Erwartung hatte von ihm Besitz ergriffen. Bisher hatte er dieses Gefühl noch nie gekannt. Noch zwanzig Manneslängen trennten ihn von der Stelle, an der ihn Beeha-ti erwarten wollte.
    Noch vor Morgengrauen würde er wissen, ob sie in ihm mehr sah als nur ein Spielzeug ihrer königlichen Launen.
    Anhetes hatte den Wagenlenker weggeschickt; er sollte ihn am Westtor erwarten. Dagras und Coser umflossen die Stadt von Osten nach Westen und vereinigten sich dort fast. Nur ein schmaler Sandstreifen, der bei Überschwemmungen unterging, trennte die beiden Flüsse. Dorthin würde der Nachen treiben. Der Baumeister hatte sich sorgfältig angezogen; er trug leichte Stiefel aus Gazellenleder und ein dunkelrotes Hemd mit breitem Ledergürtel, in dem der vergoldete Dolch steckte.
    Der Reif seines Vaters schimmerte auf der Stirn, und die Kanten schwerer Goldreifen schnitten in den Muskel des rechten Oberarms. Über der Schulter hing schräg ein weißer Mantel, dessen karminrotes Muster in der Dunkelheit verschwomm.
    Vor sich sah Anhetes den Schimmer eines schwachen Lichtes. Er trat lautlos um die Ecke des Schilfganges. Dort lag die Barke.
    Vordersteven und Heckbau waren hochgeschwungen wie die Hälse graziler Wasservögel; im Heck stand ein schwarzer Sklave, alt und weißgekleidet.
    Anhetes blieb stehen, um das einmalige Bild in sich aufzunehmen.
    Die Mitte des Bootes war durch eine Glutpfanne in mattes Licht getaucht. Beeha-ti lag auf den Fellen, die sich über das schmale Deck ausbreiteten. Die Felle waren schwarz, und weiß die Haut und die Kleider des Mädchens. Anhetes konnte nicht alles erkennen, aber er glaubte, Beeha-ti lächeln zu sehen. Es schien ein Lächeln der Erwartung zu sein. Er bog die Halme zur Seite und ging rasch auf die Barke zu. Er löste im Vorbeigehen, ohne sich zu bücken, den Knoten des Halteseils und sprang auf das tieferliegende Deck. Das Boot schwankte leicht, als er sich neben Beeha-ti setzte.
    »Hier bin ich, Prinzessin, wie du es wünschtest«, sagte er.
    »Ich sehe es, Baumeister, und es freut mich«, antwortete sie. Sie reichte ihm die Hand. Obwohl ihre Finger kühl waren, empfand Anhetes etwas wie einen Strom flüssigen Feuers, das von ihnen ausging. Ein langer Stoß ließ das Boot weit in den Fluß hinausgleiten. Heute wehte kein kalter Wind, und das Boot trieb ins Mondlicht. Noch nie hatte Anhetes die Gegend so zauberhaft gesehen wie heute mit Beeha-ti.
    »Der Sklave ist taub und stumm, wie ich denke?« fragte Anhetes spöttisch. Beeha-ti lächelte zurück.
    »Du hast recht. Man braucht im Palast solche Diener. Sie sind still und verschwiegen.«
    Sie war jung und zauberhaft schön. Nicht zu vergleichen mit Auben und Fard.
    »Was wolltest du von mir? Spielen wir nicht miteinander, Prinzessin, es ist nicht meine Art«, sagte Anhetes leise, aber sehr bestimmt.
    Sie wurde plötzlich ernst und bekam ein kluges, aufmerksames Gesicht, als sie antwortete.
    »Eines Tages wird man erwachsen, und dann kann man das Geschwätz im Palast nicht mehr hören. Man will sich mit klugen Leuten unterhalten. Und es gibt so wenig kluge Männer. Du bist einer von ihnen.«
    »Woher willst du dies wissen?« fragte Anhetes, ohne

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