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TTB 100: Der Traum der Maschine

TTB 100: Der Traum der Maschine

Titel: TTB 100: Der Traum der Maschine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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strähnigen Haare hingen zu Boden, aber den wachsamen Augen entging nichts. Unendlich langsam schien die Zeit zu vergehen. Die Kälte drang in die Glieder.
    Dann war es soweit.
    Der Bulle ließ sich auf die Vorderläufe nieder und fraß das feine Moos aus der Grube. Avik gab das Zeichen, und die Jäger brachen aus dem Dickicht. Der Angriff erfolgte wild und tödlich, die Muskeln spannten sich zum plötzlichen Stoß. Von der Seite ertönte ein kaum vernehmbares Schwirren, dann brüllte der Bulle auf und wälzte sich sterbend im Schnee. Verwundert senkte Kuva den Speer.
    Sie hatten nichts gesehen. Wo war der Speer? Wer hatte zugestoßen? Avik sicherte nach allen Seiten und ging vorsichtig auf den sterbenden Bullen zu. Er lag auf dem kalten Wasseratem und schlug mit den Läufen um sich. Er verlor den Kot und rührte sich nicht mehr. Rot leuchtete das Blut aus einer Wunde.
    »Was ist das?« rief Avik plötzlich und zeigte auf die Seite des Kadavers. Ein winziger Speer ragte heraus, kaum einen Arm lang. Wütend riß Avik das Ding aus der Wunde.
    »Es ist braun, aus Holz – es hat Schnabel und Federn.«
    Kuva nickte.
    »Ein Holzvogel. Wer hat ihn mit solcher Kraft geschleudert?« fragte Avik. Wieder suchten seine scharfen Augen das Gehölz ab. Nichts regte sich. Avik bückte sich und fand den zweiten Speer im Hals des Ern. Ein Geräusch! Blitzschnell federte Avik herum, aber da war es schon geschehen.
    Zwei fremde Männer standen am Waldrand. Riesenhafte Gestalten mit bärtigem Kinn und schmalem Schädel. Sehnige Jäger. Der Speer des Alten zischte durch die Luft. Geschickt wichen die Männer aus, und das Holz mit der Steinspitze schlug krachend ins Gebüsch. Einer der Männer nahm ein krummes Holz, spannte es, und nach einem häßlichen Heulen sank Avik stöhnend zu Boden. Er preßte die Hände an die Brust.
    Kuva wich mit einigen Schritten zur Seite. Er hatte Angst, wie damals, als der schwarze Bulle auf ihn zugerannt kam. Einen Kampf zwischen Menschen – das kannte er nicht. Noch nie hatten Menschen der Sippe miteinander gekämpft. Es war nicht nötig, allen gehörte alles.
    Dann kamen sie näher, die fremden Männer. Kuva hob seinen Speer auf. Aber ... die Männer taten ihm nichts. Er war zu jung, das sahen sie wohl. Sie riefen etwas in einer fremden Sprache. Kuva kannte die Bedeutung der Worte, aber sie war andersartig. Die Männer machten Gesten und zeigten die Handflächen. Dann waren sie bei ihm.
    Der größere der Männer, einer mit braunem Haar und grauen, festen Augen, nahm seine Hand von dem Steindolch und legte sie Kuva auf die Schulter.
    Der andere entspannte das Krummholz und zog den Pfeil aus dem toten Jäger.
     
    *
     
    Nichts in der phantastischen Weite des Universums geschah, ohne daß es dem Gesetz von actio und reactio gehorchte. Die geistige Wesenheit eines kristallhart gefrorenen Körpers wurde geschmeidig und flexibel gehalten; gleichzeitig erhöhte der Geist in den Wirtswesen eine rapide Steigerung der Fähigkeiten und der Erkenntnismöglichkeit.
    So entstanden kulturelle Vorwärtsbewegungen an vielen Orten.
    Drei Variationen des gleichen Themas hatte die Gorgoyne aufgebaut. Für Boyn standen sie in den Abläufen hintereinander, für die strukturelle Einheit der Totalität bestanden sie gleichzeitig. Das konnte sein, weil die vollkommene Maschine souverän mit Zeiten und Entfernungen spielte.
    Aber ... es war ein nahezu tödliches Spiel.
    Es konnte den plötzlichen Tod des Wirtes bedeuten, wenn die heftig arbeitenden Zellen rapide entlastet wurden. Zogen sich die starken Feldimpulse der Gorgoyne plötzlich zurück, starb der Träger von Boyns Geist. Wenn, eines Tages, kein Grund mehr für das Vorhandensein in anderen Wesen bestand, würde sich die Gorgoyne behutsam zurückziehen und das Geschenk des überfunktionierenden Hirns dem Wirt überlassen.
    Noch war es nicht soweit. Noch lange nicht.
     
    *
     
    Kuva suchte einen vertrauten Zug in dem bronzenen Gesicht seines neuen Freundes. Morlok, der fremde Jäger, nahm einen Zweig auf und schob damit die Reste brennender Knüppel ins Feuer. Er sah auf Kuva.
    »Wie lange warten wir noch?« fragte der Junge.
    »Noch wenige Tage«, antwortete Morlok. Die grauen, goldgesprenkelten Augen blickten starr in die Ferne. Ein kalter Hauch schien von dem listigen Manne auszugehen, ein Eindruck, den Kuva nicht begriff und nicht deuten konnte. Es schien, als hätten die Grünnebel ein Fabelwesen ausgespien: Morlok.
    »Wenn meine Späher wieder am Feuer sitzen,

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