TTB 100: Der Traum der Maschine
werden wir den Jagdzauber machen. Dann verlassen wir das Tal.«
»Nimmst du mich mit auf den Jagdgang?« fragte Kuva.
»Ich nehme dich mit. Ich habe eine Ahnung, als ob ich viele Dinge weitergeben müßte, weil ich nur kurz ...« Er brach ab. Der Blick seiner unheimlichen Augen verlor sich im Tal, wo ausgedehnte Grasfelder im Atem der Berge wogten. Morlok, der Fremde, kannte es vom großen Wasser her. Von den Weißbäumen fiel welkes Laub. Höhlenmänner kamen mit verkniffenen Gesichtern den Pfad herauf, die magere Jagdbeute auf dem Rücken. Einer von ihnen blieb stehen und fragte Morlok:
»Werden die großen Ernherden noch kommen?«
»Nein«, sagte Morlok. »Es ist zu spät.«
Der Höhlenmann wandte sich schweigend ab und ging zu seiner Behausung hinauf, wo man ihn sehnsüchtig erwartete. Kuva fragte Morlok wieder; der Jäger mit den braunen Haaren schien alles zu wissen. In ihm wohnte ein unbekannter Geist.
»Was wird aus meinen Leuten, wenn wir weggehen?«
Der Grauäugige sagte nach einer Weile:
»Die meisten werden tot sein, wenn wir wiederkommen.«
»Und die anderen?«
Morlok zuckte die mächtigen Schultern und spielte mit dem Steindolch, indem er ihn hochwarf, sich überschlagen ließ und wieder auffing, wieder, immer wieder ...
»Ich glaube, daß sie wieder gute Jäger werden und den Herden nachziehen, wenn sich die Grünnebel heben.«
Kuva nickte schwer: »Mein Vater sah es kommen. Niemand glaubte ihm.« Schweigend sah Morlok ins Feuer. Flammen spielten über sein hartes, kluges Gesicht.
»Und wenn wir alle mitnehmen?« fragte Kuva wieder.
»Unmöglich. Wir müßten für alle Fleisch haben, es sind zu viele. Das können wir nicht.« Schweigend stocherte er im Feuer herum. »Auch die Wasatherden sind einen anderen Pfad gezogen. Wir müssen diesen Pfad finden, sonst sterben wir auch.«
Morlok nahm den Bogen von der Stange, an der das Fell des Windschutzes befestigt war. Er hob seinen Köcher vom Boden auf und gab Kuva ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie wanderten schweigend in den Talkessel hinunter.
Kuva hatte Morlok vorausgehen lassen. Jetzt betrat er zögernd und jedes Geräusch vermeidend, die Höhle. Der Eingang war dunkel, und Kuva tastete sich mit den Händen an der flachen Decke entlang. Sie war lehmig und feucht. Er roch den harten Geruch eines Feuers, das im hinteren Teil der Höhle brannte.
Dann sah er den weißblauen Rauchfaden, der senkrecht zur Decke stieg. Dort drang er durch unsichtbare Ritzen ins Freie, um sich mit dem feuchten Nebel zu vermischen, der über der Landschaft lagerte.
Am Feuer kauerten regungslose Gestalten mit nackten, rötlich schimmernden Oberkörpern. Die Augen der Jäger waren geschlossen, und die Männer murmelten leise und in einem merkwürdigen Singsang unverständliche Worte vor sich hin. Im Schein des glimmenden Feuers, aus dem nur vereinzelt Flammen schlugen, wirkte das Innere der Höhle geisterhaft.
Dicht vor einer glatten Wand saß Morlok und starrte regungslos nach oben. Er saß auf einem Fell, sein Gesicht war schweißnaß, und das Haar hing klebrig nach unten. Die Muskeln des Jägers waren angespannt.
Zeit verging ...
Das Feuer loderte plötzlich auf. Morlok senkte langsam den Kopf. Die anderen Jäger verstummten einen Augenblick. Die glasigen grauen Augen waren starr auf die Wand gerichtet. Morlok nahm eine Anzahl von Gefäßen vom Boden auf und stellte sie vorsichtig auf einen glatten Stein vor sich. Bedächtig tauchte er einen Finger in ein Gefäß und brachte einige Striche an der Wand an. Dann nahm er ein kleines Hölzchen auf, Federn waren darumgewickelt. Wieder tauchte er ein und verteilte einige Striche auf die Steinwand.
Staunend und verwirrt betrachtete Kuva, was hier vor sich ging. Noch nie hatte er ähnliches gesehen.
In den Farben des Blutes, der Nacht und der Erde entstanden Striche und Rundungen. Plötzlich war der Kopf eines Wasat auf dem Stein, mit drohenden Augen, gesenkten Hörnern und zottigem Fell. Morlok arbeitete weiter, ohne zu sehen oder zu hören.
Funken sprangen aus der Glut; sie versengten den Männern die Haut, aber niemand spürte es. Kuva kroch zu Morlok hin; eine harte Hand griff aus dem Hintergrund nach ihm und hielt ihn zurück. Mit geweiteten Augen starrte der junge Jäger auf das Unfaßbare. Dort auf dem Stein schuf ein mächtiger Zauberer etwas Unbegreifliches.
Zwei kämpfende Wasatbullen standen sich mit gesenkten Schädeln gegenüber. Darunter war ein dritter Bulle zu sehen; er befand sich auf der Flucht.
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