TTB 100: Der Traum der Maschine
Dann erreichten die Reiter Feldzeichen, die in den Boden gerammt waren. An ihren Spitzen hingen rotgefärbte Roßschweife. Dahinter begann das Lager.
Neben Nigoel zügelte Pilok erschreckt sein Pferd. Ein Zelt stand neben dem anderen, soweit der Blick reichte. Pilok sah den Führer an.
»Niemand kann uns helfen, wenn diese Heere in die Westländer einfallen. Hier gibt es keinen Widerstand mehr – sie sind zu zahlreich.«
Sieben weiße Zelte umstanden je eines, das aus farbigem Stoff bestand. Aber dann waren die Männer bereits am Lagertor und ritten ein, ein langer Zug halbverdursteter Männer und müder Pferde. Ein breitschultriger Mann kam ihnen entgegen und wies ihnen eine Zeltgruppe an und Platz für Gepäck und Pferde.
Nachdem alles geschehen war – Pferde versorgt, Gepäck abgeladen, Kleiderwechsel, Waschen, Rasieren und Haarschnitt, Platz in den Zelten belegt – trafen sich die achtunddreißig Männer vor Nigoels Zelt.
Niemand im Lager nahm Notiz von ihnen, aber Nigoel wußte, daß sie trotzdem beobachtet wurden.
»Bewegt euch völlig ungezwungen und haltet die Augen offen. Wir sind nur bewaffnete Kaufleute, nicht mehr. Seid mäßig, wenn man euch zum Trinken einlädt. Verpflegung wird gegen Silber und Gold eingetauscht – laßt euch nicht übertölpeln. Das wäre alles.«
Die Männer zerstreuten sich, aber fast alle von ihnen suchten sich einen Fleck, an dem sie ungestört schlafen konnten.
Die Seiten der Tagebücher füllten sich in den nächsten zehn Tagen, in denen die Männer mehr oder weniger tatenlos herumsaßen, Pferde striegelten oder ihr Lederzeug einölten und putzten. Piloks Interesse galt dem Bogenschießen und der Herstellung dieser kleinen Waffen; die anderen Männer kümmerten sich um anderes und schrieben und zeichneten. Es war am Abend des elften Tages, und Nigoel zog sich gerade für einen Spaziergang um. Ein Chongale kam ins Zelt und bat ihn, zum Chan zu kommen. Nigoels Herz schlug schneller. Endlich.
»Tretet ein«, sagte ein Wächter vor dem schwarzen Zelt in Imars Sprache. Als ihn der Ritter anblickte, lächelte er unergründlich. Ein Vorhang tat sich auf.
Das, was er hier an Reichtümern und Ausstattung sah, übertraf des Ritters kühnste Erwartungen. Gold, Einlegearbeiten und feinste Felle und Teppiche. In einer Ecke des Raumes stand ein mächtiger Sessel, davor ein Tisch, daneben stand der Chan. Er machte eine einladende Geste.
»Kommt näher, Fremder, und nehmt Platz!« Imar setzte sich.
Auch der Chan sprach seine Sprache.
»Es ist Brauch bei uns, unsere Gäste so lange warten zu lassen«, fuhr der Reiterfürst fort, »ein Zeichen, daß wir euch wohlgesinnt gegenüberstehen. Was wollt ihr in diesem Land?«
Nigoel Imar erklärte es, ohne jede Lüge.
»Ich dachte es«, sagte der Chan, »Ihr seid von eurer Landung an beobachtet worden.« Nigoel fühlte einen ungewissen Schauder. Der Chan winkte mit der Hand. Speisen und Getränke wurden vor den Gast hingestellt. Neben dem Chan saß eine Sklavin. Sie spielte mit einer Katze.
»Merkwürdig«, sagte der Fürst, »Ihr baut Städte, um sie wieder zu zerstören, ihr betet zu einem Gott, den niemand kennt, und ihr sehnt euch nach der Nacktheit der Frauen und umgebt sie mit häßlichen Kleidern. Wie lange wollt ihr bleiben?«
»Es hängt von unseren Geschäften ab«, sagte Nigoel.
»Seide, Weihrauch, Kohle, Waffen und Stahl, Steine und Gewürz, nicht wahr?« fragte der Chan. Nigoel nickte.
»Wieviel Mann unter euch sind kriegserfahren?«
Nigoel stockte. Dann sagte er langsam:
»Mehr als die Hälfte. Weshalb fragst du?«
»Ich mache dir einen Vorschlag, Ritter Imar«, sagte der Chan langsam und lauernd. »Zwanzig Pferdeladungen voller Dinge, die du willst, und das Plünderungsrecht für einen Tag in einer Stadt, die du und deine Männer berennen sollen. Was hältst du davon?«
Der Vorschlag war ungeheuerlich. Nigoel schwieg überwältigt.
»Ich brauche Männer, die Mauerbrecher herstellen und mächtige Schleudern bauen können, solche, wie ihr bei Cargon verwendet habt. Wie steht es?«
»Welche Stadt ist es, und wann soll der Versuch unternommen werden?« fragte Nigoel abwägend. Der Chan schlug mit der Faust auf den Tisch, so daß die Katze erschreckt aus dem Zelt floh und die Sklavin die schwarzen Augen aufriß.
»Versuch?« brüllte der Chan, »Versuch? Die Stadt muß fallen. In mindestens vier Monaten, wenn das Wintergestirn aufgeht!«
Er sprang auf, riß eine Schutzdecke von einem Bild, und in dem matten
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