TTB 104: 200 Millionen Jahre später
hatte. Wie eine mächtige Pythonschlange krümmte sich die schwarzgraue Masse tief unter ihm. Sie war im Durchschnitt etwa vierhundert Meter breit, und ein feiner Dampf stieg von ihrer Oberfläche auf.
Armeen, die aus den Ebenen und dem Hügelvorland von Gonwonlane heraufkamen, würden den Fluß überqueren müssen. Erneut überfielen ihn die Zweifel: Konnte man Menschen in diese Hölle schicken? Und wieder kam die Einsicht, daß man es konnte und mußte. Er vermochte sich sogar bereits die vorgefertigte Pontonbrücke vorzustellen, die hier angebracht war; sie mußte von genügender Größe und Schwere sein, um Riesentanks und Grimbs tragen zu können. Es hatte im Zweiten Weltkrieg kaum einen aktiven Soldaten oder Offizier gegeben, der nicht Hunderte solcher Brücken überquert hatte, häufig sogar unter Beschuß.
Weiter und weiter führte die Reise des Geistes, stets dem Fluß aus Schlamm folgend, in westlicher Richtung. Holroyd versuchte die Geschwindigkeit der Ortsveränderung zu schätzen und kam auf etwa sechshundertfünfzig Stundenkilometer. Es war gerade schnell genug, um sein Interesse gefangen, seinen Verstand in fieberhafter Tätigkeit und sein gesamtes Wesen alarmbereit und wissensdurstig zu halten.
Es war kurz nachdem sie an der zweiten Stadt vorbeigekommen waren, als sich der Fluß scharf nordwärts wandte. Abgesehen von Krümmungen und Windungen behielt er die nördliche Richtung von da ab bei. Holroyd empfand Befremden. Es war leicht einzusehen, daß der Fluß wichtig war, solange er an Gonwonlane angrenzte. Doch warum dem geschlängelten Band aus heißem Schlamm noch weiter folgen, das den gesamten Kern von Nushirvan zu umspannen schien? Eine Stunde später konnte kein Zweifel mehr daran bestehen, daß es genau das tat. Allmählich bog der bemerkenswerte Fluß nach Osten; nach einer weiteren langen Weile schlug er für viele Stunden eine südliche Richtung ein.
Die Sonne, die ursprünglich hoch im Zenit gestanden hatte, war im Begriff, den westlichen Horizont zu versengen, und ihre Strahlen warfen lange, düstere Schatten schräg über das eigenartige, schreckliche Bergland von Nushirvan, als Holroyds Umgebung urplötzlich zu einem Schimmer von Bewegung verschwamm. Dann war er wieder im Palast. Die Reise des Geistes, deren eigenartige Route ihren Sinn unerklärlich machte, war so schnell vorüber, wie sie begonnen hatte.
Holroyd wurde gewahr, daß er zusammengesunken in seinem Sessel saß. Die Göttin blickte ihn mit ernsten Augen an, doch um ihre Mundwinkel schien ein vergnügtes Lächeln zu spielen, als sie sagte:
»Ich habe dir die abgelegene Seite Nushirvans gezeigt, die an Accadistran angrenzt, weil ich glaube, daß dir die Kenntnis der Örtlichkeit bei der Planung des Angriffs helfen wird.«
Holroyd war außerstande, sich vorzustellen, wie das der Fall sein könnte. Er öffnete die Lippen, um seine Zweifel auszusprechen, und schloß sie dann wieder. Er konnte nicht wissen, was die Göttin vorher mit Ineznio alles besprochen hatte, und durfte deshalb nicht zu viele Fragen stellen. Doch eine hatte er bereits vorgebracht. Er sagte:
»Jener Fluß aus kochendem Schlamm ... warum konnten wir ihn nicht überqueren?«
Die Frau schüttelte den Kopf. Das Licht fing sich in ihrem Haar, und ein goldenes Feuer schien für einen Moment darüber hinwegzuzüngeln. Ihre Stimme kam weich und sanft aus dem zunehmenden Dämmerlicht:
»Es gibt einige Dinge, Ineznio – Beschränkungen meiner Kräfte –, nach denen selbst du keine Fragen stellen darfst.«
Sie erhob sich und kam langsam um den Tisch herum. Ihre Arme lagen weich um seinen Hals. Ihre Lippen waren zunächst kühl, dann fordernd. Die drängenden Fragen, die auf Holroyds Zunge lagen, begannen in den Hintergrund zu rücken. Später, dachte er unsicher, später werde ich diese ganze Sache gründlich durchdenken ...
Holroyd nahm die Schreibfeder zur Hand und schrieb:
»Die größte Macht in Gonwonlane ist die Göttin Ineznia. Sie brachte Ptath hierher, bevor seine Zeit gekommen war. Wie sie es getan hat, wurde mir gezeigt.«
Das war der Anfang. Indem er alles in der richtigen Reihenfolge niederschrieb, sollte er in der Lage sein, die noch fehlenden Stücke einzusetzen und daraus entscheidende und wichtige Schlußfolgerungen zu ziehen. Er zögerte einen Moment und fuhr dann fort zu schreiben:
»Die zweitgrößte Macht in Gonwonlane, wenn auch zur Zeit nahezu lahmgelegt, ist L'Onee. Sie hat den Versuch der Göttin Ineznia, Ptath in den
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