TTB 106: Der dritte Planet
schon »Liebling« genannt. Von Anfang an war es den Worten nach dasselbe Verhältnis gewesen.
»Liebling«, murmelte er, und plötzlich stürzten ihre Gedanken wie ein vom Himmel herabstoßender Aasgeier auf ihn ein. Er schlug mit den Armen um sich und schrie laut: »Laß mich zufrieden!«
Und als ihre Gedanken sich diesmal wirklich zurückzogen, hatte er das Gefühl, es geschah weniger aus Schüchternheit als mit der Geduld, die ein Mensch sich leisten kann, der sich seiner Kraft bewußt ist.
Er sank in seinen Sessel zurück, plötzlich von dem Kampf gegen Unsichtbares erschöpft. Während er den Zettel in seiner rechten Hand zerknüllte, mußte er an die Kratzer in der Wand hinter ihm denken.
Und in seiner Phantasie sah er Corrigan sich auf dem Feldbett hin und her werfen und mit einem Entsetzensschrei hochfahren, als sie vor ihm stand. Aber dann wurde das Bild plötzlich dunkel. Wie war es weitergegangen?
Mit zitternder Hand rieb er sich übers Gesicht. Schnappe nicht über! sagte er zu sich selbst. Aber es war mehr eine ängstliche Bitte als ein Befehl. Wellen wüster Vorahnungen überfluteten ihn. Sie kommt durch die Wände.
*
An diesem Abend schüttete er das Getränk, das sie ihm gebracht hatte, in den Ausguß im Badezimmer. Er verschloß die Tür, drückte sich im dunklen Zimmer in eine Ecke, sah sich angstvoll wartend um. Dabei keuchte er krampfhaft.
Der Thermostat senkte die Temperatur. Die Fußbodenbretter wurden eisig kalt, und seine Zähne fingen an zu klappern. Ich gehe nicht ins Bett, nahm er sich vor. Er wußte nicht, weshalb ihm das Bett jetzt Furcht einflößte. Er zwang sich wenigstens, zu glauben, daß er es nicht wüßte, während er es doch wußte und nur nicht zugeben wollte. Auch sich selbst nicht – keine Sekunde lang.
Aber nach Stunden sinnlosen Wartens mußte er sich recken, weil ihm die Glieder steif geworden waren, und taumelte doch ins Bett. Er kroch unter die Decken und versuchte zitternd, wach zu bleiben. Wenn ich schlafe, kommt sie, dachte er, ich darf nicht einschlafen.
Als er morgens aufwachte, lagen wieder Blumen auf dem Fußboden. Und das war nur ein Tag unter einer Menge anderer aus einer Reihe von Monaten.
*
Man kann sich an Schrecken gewöhnen, dachte er. Wenn er nicht plötzlich eintritt, sondern zur Selbstverständlichkeit geworden ist, zu einer zusammenhängenden Kette betäubender Ereignisse, wird er weniger beißend und scharf. Wenn lauter Schrecken wie Skalpelle die empfindlichen Nervenknoten verletzen, verlieren sie zuletzt jedes Gefühl.
Aber wenn es kein Schrecken mehr war, dann war es etwas Schlimmeres. Er kämpfte mit verzweifelter Willenskraft, brüllte sie an, und sein zerquälter Geist wurde durch ihre Kapitulationen gemartert, die in Wirklichkeit Siege waren.
Jedesmal kam sie zurück, wenn er sie weggejagt hatte. Wie eine verscheuchte Katze, die schmeichlerisch an ihrem Herrn entlang streicht und ihn mit zärtlichen Gedanken erfüllt.
Mit Liebesgedanken – es hatte keinen Zweck, daß er es nicht zugab.
Und eine Gegenströmung ließ neue Schrecken erwarten, die das schon wankende Gebäude seiner Willenskraft zum Einsturz bringen würden. Es fehlte nur noch ein neuer Stoß.
Die gestaltlose Drohung hing über ihm. Er wartete auf den Schlag, der kommen mußte, stemmte sich dagegen an, war jede Sekunde darauf vorbereitet, besonders nachts. Warten, warten. Und manchmal, wenn er dachte, er wüßte, worauf er wartete, ließ dieses Eingeständnis ihn schaudern, die Wände zerkratzen, Sachen zerschlagen und schließlich davonrennen, bis die Dunkelheit ihn verschlang.
*
Wenn er sie nur vergessen könnte, dachte er. Ja – wenn man sie für eine Weile vergessen könnte, nur für eine Weile, würde alles besser sein.
Das murmelte er vor sich hin, während er damit beschäftigt war, im Vorzimmer den Filmprojektor aufzustellen.
Sie bat von der Küche her: Kann ich zusehen?
»Nein!«
Alle seine Antworten, gesprochen oder gedacht, waren jetzt wie die scharfen Zurückweisungen eines zänkischen alten Mannes. Wenn nur erst die sechs Monate vorüber wären; das war das Problem. Die Monate gingen nicht schnell genug zu Ende. Die Zeit war wie sie – man konnte weder vernünftig mit ihr reden noch sie einschüchtern.
In einem Wandregal lagen viele Filmrollen. Er griff nach irgendeiner und wußte nicht, was sie zeigte. Sein Verstand war schon so abgestumpft, daß er gar nicht merkte, ob er einer Suggestion folgte oder nicht.
Er legte
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