TTB 109: Unendlichkeit x 5
auch lernen, daß er manche Tatsachen verbergen oder verfälschen muß, um Erfolg zu haben. Von jetzt ab kann jede seiner Instruktionen den Keim zu seiner Zerstörung in sich tragen. Wir haben keine Kontrolle darüber, und eines Tages wird Multivac trotz aller Vorsichtsmaßnahmen Erfolg haben. Ich glaube, daß Sie der letzte Vorsitzende der Zentralen Korrektionsstelle sein werden, Mister Gulliman.«
Gulliman schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Aber warum denn nur? Warum? Warum? Der Teufel soll Sie holen, warum? Was ist mit ihm los? Läßt es sich nicht wieder in Ordnung bringen?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete Othman gefaßt. »Bisher habe ich noch nie darüber nachgedacht, weil kein Anlaß dazu bestand. Meiner Meinung nach sind wir am Ende, weil Multivac zu gut ist. Multivac ist so kompliziert geworden, daß seine Reaktionen nicht mehr die einer Maschine, sondern die eines lebenden Wesens sind.«
»Sie sind verrückt – aber trotzdem?«
»Seit fünfzig Jahren haben wir alle unsere Sorgen und Probleme auf Multivac abgewälzt, auf diese Maschine, die eigentlich schon lebendig ist. Wir haben ihm aufgetragen, sich um unser Wohlergehen zu kümmern. Wir haben ihm unsere Geheimnisse anvertraut; wir haben von ihm verlangt, er solle uns gegen alles Übel beschützen, das von uns oder anderen ausgehen könnte. Wir alle kommen mit unseren Sorgen zu ihm und vergrößern dadurch noch die Last, die bereits auf seinen Schultern ruht. Und jetzt wollen wir ihm auch noch die Verantwortung für alle Krankheiten aufbürden, von denen die Menschheit befallen werden könnte.«
Othman schwieg einen Augenblick, bevor er weitersprach, wobei er jedes Wort nachdrücklich betonte. »Mister Gulliman, Multivac trägt eine zu schwere Last auf seinen Schultern. Alle Sorgen dieser Welt sind zuviel für ihn. Er ist müde.«
»Verrückt. Völlig übergeschnappt«, murmelte Gulliman vor sich hin.
»Dann möchte ich Ihnen etwas zeigen. Vielleicht sind Sie dadurch zu überzeugen. Darf ich einen Augenblick Ihre Privatverbindung zu Multivac benutzen?«
»Warum?«
»Um Multivac eine Frage zu stellen, die ihm noch nie zuvor gestellt worden ist?«
»Aber sie richtet doch keinen Schaden an?« fragte Gulliman mißtrauisch.
»Nein. Wir werden nur erfahren, was wir wissen wollen.«
Der Vorsitzende zögerte einen Augenblick. »Schön, fangen Sie an«, sagte er dann seufzend.
Othman benützte das Gerät auf Gullimans Schreibtisch und schrieb rasch hinein: »Multivac, was wünschst du dir selbst mehr als alles andere?«
Die Zeitspanne zwischen Frage und Antwort schien unendlich lang zu sein, aber weder Gulliman noch Othman wagten zu atmen.
Dann ertönte das leise Summen, als die Karte ausgeworfen wurde. Die Karte war sehr klein und wies nur einen kurzen Text auf. Die Antwort lautete: »Ich möchte sterben.«
Der Fall Sebatinsky
Marshall Zebatinsky kam sich ausgesprochen lächerlich vor. Er hatte das unbestimmte Gefühl, die fast erblindeten Scheiben der alten Tür starrten ihn wie Augen an. Schon die ungebügelten Hosen und der altmodisch geschnittene Mantel trugen nicht dazu bei, sein Selbstvertrauen zu stärken, aber die fehlende Brille machte ihn vollends unsicher.
Er kam sich lächerlich vor, weil er nie eine vernünftige Erklärung dafür finden würde, daß ausgerechnet er als Atomphysiker einen Numerologen aufsuchte. (Nie, dachte er. Niemals.) Er wußte nur, daß seine Frau ihn dazu überredet hatte.
Der Numerologe saß hinter einem alten Schreibtisch, den er bereits gebraucht erworben haben mußte. Kein Möbelstück konnte unter einem einzigen Besitzer so alt werden. Diese Feststellung traf übrigens auch auf seine Bekleidung zu. Der Mann war klein und dunkelhaarig; er sah Zebatinsky aus hellen Augen wach und aufmerksam entgegen.
Er sagte: »Ich habe noch nie einen Physiker als Klienten gehabt, Doktor Zebatinsky.«
Zebatinsky wurde rot und räusperte sich unbehaglich. »Unsere Unterhaltung bleibt aber trotzdem streng vertraulich?«
Der Numerologe lächelte beruhigend. »Selbstverständlich. Ich sichere Ihnen schon jetzt striktes Stillschweigen zu.«
Zebatinsky sah ihn nachdenklich an, bevor er weitersprach. »Ich glaube, daß ich Ihnen noch eine Erklärung schuldig bin. Ich halte die Numerologie für ausgesprochenen Humbug und erwarte mir nichts davon. Sagen Sie mir bitte offen, ob das Ihre Ratschläge beeinflußt.«
»Weshalb sind Sie dann überhaupt zu mir gekommen?«
»Meine Frau glaubt, daß Sie mir
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