TTB 118: Die schlafende Welt
während sich die Verhältnisse auf Terra, Venus und Mars wieder normalisierten. Es schien eine unmögliche Aufgabe zu sein, doch es war gerade die Fähigkeit der Föderation, Unmögliches möglich zu machen, die das übermächtige Imperium bisher in Schach gehalten hatte.
Trupps zogen von Luftschutzraum zu Luftschutzraum und erweckten speziell ausgesuchte Individuen – Regierungsbeamte, Polizisten, Ärzte, Psychologen, Psychiater, Geistliche, Wirtschaftsfachleute, einflußreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die der verblüfften Bevölkerung wieder auf die Beine helfen sollten. Dann kamen militärische Gesichtspunkte ins Spiel. Der Krieg ging ja weiter. Es gab natürlich Ausnahmen, eine Mrs. Jane Donovan aus London, zum Beispiel – doch die waren im allgemeinen selten.
Erst als das öffentliche Leben an den wichtigsten Stellen wieder funktionierte, wurde das Gegenmittel in großen Mengen über den Städten abgesprüht. Die Erweckung wurde am 10. August als abgeschlossen gemeldet, ungefähr neun Monate nach Beginn der Invasion. Gelegentlich wurden noch schlafende Menschen gefunden, die die Erweckungstrupps auf den Plan riefen, doch das geschah mit der Zeit immer seltener. Nahezu drei Milliarden Menschen versuchten nun ihren Eindruck zu überwinden, daß sie nur wenige Augenblicke geschlafen hätten.
Die Verantwortlichen fürchteten, daß sich die Öffentlichkeit in Zukunft nie wieder sicher fühlen würde, wenn man die Tatsachen nicht ein wenig verschleierte, wenn man die Bedeutung des llralanischen Übergriffs nicht etwas verkleinerte, zu etwas machte, das einmal sein könnte, doch niemals tatsächlich stattgefunden hat. Etwas, das an sich harmlos ist, doch eine gewisse Lehre in sich birgt, eine Mahnung an die Gefahren des fernen Krieges.
Die Prominenten drückten sich in ihren Reden in diesem Sinne aus, in Reden, an die sie zur Abwechslung einmal selbst glaubten, da ihnen nichts anderes übrigblieb.
»Sehen Sie, meine Damen und Herren (oder Jungen und Mädchen, oder Freunde oder Mitbürger), Spaß ist Spaß. Wir hatten einen kleinen herbstlichen Schlaf auf Kosten des Imperiums – eine Art Ferien von unseren Sorgen, und deswegen sollten wir einen Dankesbrief an das llralanische Oberkommando richten.«
Gelächter, natürlich.
»… Aber der Spaß ist jetzt vorbei.« Grimmig. »Was wäre gewesen, wenn man unsere Welt radioaktiv gemacht oder vergiftet hätte? Was dann, meine lieben Mitbürger?«
Pause. Nachdenkliches Schweigen.
»Diesmal ist es ohne Schaden abgegangen – abgesehen von ein paar gebrochenen Nasen und etwas verletztem Stolz …«
Erneutes Gelächter.
»… aber das nächstemal könnte es anders sein.« Drohend. »Meine Damen und Herren (oder Jungen und Mädchen oder was auch immer), wir dürfen das nicht wieder zulassen. Wir werden es nicht mehr zulassen. Wir müssen den Feind auf seinem eigenen Gebiet schlagen, damit unsere Planeten auf ewig frei sind. Die Freiheit darf nicht sterben, darf nicht von der allesverschlingenden llralanischen Woge überschwemmt werden, die bereits an den Küsten unserer Heimat leckt. Die Freiheit darf und wird nicht untergehen!«
Donnernder Applaus.
Und so weiter, und so weiter, bis die Freiwilligenmeldungen für die Armee das Soll bei weitem überstiegen und die Menschen von einem patriotischen Taumel ohnegleichen ergriffen waren. Die wenigen, die sich ein unabhängiges Denken bewahrten, fragten sich zuweilen, wieso das Imperium eine solche Invasion überhaupt hatte planen können, wenn es so dumm war, wie es die Redner jetzt hinstellten. Doch sie äußerten ihre Bedenken nicht. Sie fürchteten nicht zu unrecht, daß sie gelyncht oder verurteilt werden würden, wenn sie sich mit ihren Gedanken an die Öffentlichkeit wagten.
Die Nachdenklichen hielten also den Mund, und die Invasion wurde einfach hinweggelacht. Der Krieg ging weiter, und nach einiger Zeit schien der Vorfall im Winter 32 niemals Wirklichkeit gewesen zu sein. Kleinigkeiten wie die hundertundfünfzigtausend Menschen, die nicht wieder aufgewacht waren, wurden dabei einfach beiseitegeschoben, da sie das schöne Bild störten, das der Öffentlichkeit vorgesetzt wurde.
Das Leben ging ja weiter.
EPILOG – 2433 n. Chr.
Der Oktoberhimmel dieses Jahres war ebenso klar und schön, und der Wind ebenso beißend wie im Jahr zuvor.
James Rierson seufzte auf und bahnte sich seinen Weg auf die kleine Hügelkuppe, wo er sich schweratmend ins Gras gleiten ließ. Dann hob er das
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