Tür ins Dunkel
weil sie sich für Dinge verantwortlich fühlen, die sie nicht getan haben und nicht verhindern konnten. Und wenn dieser Selbsthaß sehr stark ist, ziehen sie sich in sich selbst zurück... tiefer und immer tiefer... und es ist für den Therapeuten wahnsinnig schwer, sie zurückzuholen.«
Melanie zeigte kein Wahrnehmungsvermögen mehr. Sie hing schlaff, fast leblos, in den Armen ihrer Mutter.
»Sie glauben also«, faßte Dan zusammen, »wenn Melanie sagt, daß sie sich haßt, weil sie schreckliche Dinge getan hat, so sind das falsche Schuldgefühle für all das, was man ihr anvetan hat?«
»Ohne jeden Zweifel«, erklärte Laura mit großem Nachdruck, »Ich sehe jetzt, daß ihre Schuldgefühle und ihr elbsthaß noch viel schlimmer sind als in den meisten Fällen, Das ist nicht verwunderlich, Sie wurde fast sechs Jahre lang mißhandelt - yfoM. Und was sie durchmachen mußte, war noch viel schlimmer als die üblichen Kindesmißhandlungen, denn sie wurde nicht nur physisch gequält, sondern auch einem intensiven Psychoterror ausgesetzt.«
Dan verstand alles, was Laura sagte, und er war überzeugt davon, daß ihre Worte sehr viel Wahres enthielten. Aber ihm war, während Melanie ihren Haß herausgeschrien hatte, eine schreckliche Möglichkeit in den Sinn gekommen, und diese Idee wurde er nun einfach nicht mehr los. Ein gräßlicher Verdacht hatte sich in ihm festgesetzt. Dieser Verdacht ergab noch keinen rechten Sinn. Seine Vermutung kam ihm selbst absurd vor. Und dennoch ... Er glaubte zu wissen, was >Es< war.
Und es war nichts von all dem, was er sich vorgestellt hatte. Es war etwas viel Schlimmeres als alle alptraumhaf ten Wesen, die er bisher in Erwägung gezogen hatte. Er starrte Melanie in einer Mischung aus Mitleid, Ehrfurcht und kalter Angst an.
Auch nachdem Laura ihre Tochter aus der Hypnose geweckt hatte, trat in Melanies Zustand keine Veränderung ein. Sie hatte sich jetzt vollständig von der Welt zurückgezogen, und sie würden ihr keine weiteren Informationen mehr entlocken können.
Laura war offensichtlich krank vor Sorge, und Dan hatte dafür vollstes Verständnis. Sie legten das Kind auf eines der ungemachten Betten, und es lag völlig apathisch und regungslos da; nur ein einziges Mal bewegte es sich: Es führte die linke Hand zum Mund und begann am Daumen zu lutschen.
Laura rief im St. Mark's an, um sich zu vergewissern, daß keine Notfälle eingeliefert worden waren, die ihre Anwesenheit unbedingt erforderlich gemacht hätten, und sie fragte auch kurz bei ihrer Sekretärin nach, ob ihre Privatpatienten von anderen Therapeuten behandelt wurden. Dann sagte sie zu Dan: »Ich werde in einer halben Stunde oder höchstens in 45 Minuten fertig sein«, und zog sich ins Bad zurück. Dan setzte sich an den kleinen Tisch und nahm die Bü cher von Albert Uhlander zur Hand, die er aus Rinks Haus mitgenommen hatte. Alle sieben Bände beschäftigten sich mit Okkultismus: Das moderne Gespenst; Poliergeister: Zwölf rätselhafte Fälle; Voodoo heute; Die Leben der Seele; Die Nostradamus-Pipellne; OOBE oder Astrale Projektion; Seltsame Kräfte in uns. Eines der Bücher war bei Random House erschienen, eines bei Harver &' Row, und zu seinem großen Erstaunen stellte Dan fest, daß die übrigen fünf von John Wilkes Press veröffentlicht worden waren. Dan zweifelte keinen Augenblick daran, daß dieser ihm unbekannte Verlag der Gesellschaft John Wilkes Enterprises gehörte, von der Regine Savannah Hoffritz jeden Monat einen -wie sie gesagt hatte - ansehnlichen Scheck erhielt. Die schreiende Aufmachung der Schutzumschläge verstärkte in ihm zunächst den Eindruck, daß es sich um totalen Schund handelte, geschrieben für jenen Leserkreis, der auch jede Ausgabe von Fate verschlang und alle darin abgedruckten Geschichten für bare Münze hielt, für jene Leute, die in UFO-Clubs eintraten und glaubten, daß Gott entweder ein Astronaut oder aber ein 60 cm großes blaues Männlein mit Augen von der Größe einer Untertasse wäre, Doch dann rief Dan sich ins Gedächtnis, daß etwas Nicht-Menschliches all jene Personen verfolgte, die etwas mit den Experimenten im grauen Zimmer zu tun gehabt hatten, und daß dieses Etwas für die regelmäßigen Leser von Fate leichter faßbar sein könnte als für ihn, der für Leute, die an okkulte Phänomene glaubten, immer nur spöttische Herablassung oder sogar Verachtung übriggehabt hatte. Und seit er Melanie unter Hypnose hatte reden hören, hatte er eine Theorie entwickelt,
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