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Tür ins Dunkel

Tür ins Dunkel

Titel: Tür ins Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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und sie wurde zurückversetzt in Geschehnisse, die sich an einem anderen Ort oder in einer anderen Dimension abspielten.
    Schließlich kletterte sie, verzweifelt wimmernd, über  das Sicherheitsgitter und verließ das Bett. Sie machte einige taumelnde Schritte, dann warf sie sich auf die Knie. In panischer Angst kroch sie keuchend in die dunklere Hälfte des Raumes, vorbei an dem zweiten Bett. Sie machte sich in der hintersten Ecke möglichst klein, den Rücken an die Wand gepreßt, die Knie hochgezogen, die Arme um die dünnen Beine geschlungen. Einem verängstigten Igel gleich, spähte sie ins Zimmer hinein. Nach einer Minute begann sie in ihrer Ecke zu wimmern wie ein gepeinigtes Tier. Sie hob ihre Hände und bedeckte damit ihr Gesicht, so als wollte sie sich von irgendeinem grauenvollen Anblick befreien. Ihr Atem ging immer schneller und flacher, ihre Panik nahm immer mehr zu, sie ließ ihre Hände sinken, ballte sie zu Fäusten und begann sich an die eigene Brust zu schlagen, hart und immer härter, schmerzhaft hart - wenn sie Schmerz hätte empfinden können, was sie jedoch nicht konnte. 
    »Die Tür«, wimmerte sie, und ihre Stimme verriet grenzenloses Entsetzen.  »Die Tür... die Tür...« 
    Es war nicht die Tür zum Korridor oder die Tür zum Bad, die ihr solche Angst einflößte. Sie nahm ihre unmittelbare Umgebung überhaupt nicht wahr. Sie wurde gemartert von alptraumhaften Erinnerungen oder schrecklichen Fantasien; sie sah Dinge, die kein anderer sehen konnte. Sie hob wieder beide Hände, stemmte sie gegen die imaginäre Tür, versuchte verzweifelt, sie geschlossen zu halten. Sie spannte die schwachen Muskeln ihrer mageren Ärmchen an, und dann bogen sich ihre Ellbogen durch, so als wäre die imaginäre Tür viel zu schwer für sie, so als drückte jemand von der anderen Seite dagegen. Ein großer und unvorstellbar starker Jemand. Plötzlich schnappte sie nach Luft und stürzte aus der Ecke hervor, kroch schlitternd über den blanken Fußboden, unter das unbenutzte Bett, bis zur Wand am Kopfende. Dort rollte sie sich zusammen wie ein Embryo, in dem hoffnungslosen Bemühen, jener schrecklichen Erinnerung oder Vision zu entrinnen. 
    »Die Tür«, murmelte sie. »Die Tür... die Tür zum Dezember.« 
    Die Arme auf der Brust gekreuzt, grub sie ihre Fingerspitzen tief in die knochigen Schultern und begann leise zu weinen. »Helft mir, helft mir«, wimmerte sie, aber ihr Flüstern drang nicht auf den Gang hinaus, wo es vielleicht eine Schwester gehört hätte.
    Wenn jemand ihren leisen Hilferuf vernommen hätte, sich Melanie höchstwahrscheinlich in dumpfem Entsetzen an diese Person geklammert, unfähig, den Mantel des Autismus abzuwerfen, der sie vor einer Welt beschützte, die sich als unerträglich grausam erwiesen hatte. Nichtsdestotrotz wäre jeder Kontakt mit einem anderen menschlichen Wesen zu diesem kritischen Zeitpunkt - ihrer ersten Nacht in Freiheit, befreit von der Allmacht ihres Vaters -ein erster kleiner Schritt zur Heilung gewesen. Aber niemand hatte damit gerechnet, daß sie so bald sprechen und nach Kontakt suchen würde. Für ein Kind, das sich wie Melanie in schwer katatonischem Zustand befunden hatte, war es höchst ungewöhnlich, so plötzlich und verzweifelt Hilfe und Schutz zu suchen. Deshalb hatte man sie allein gelassen, in der guten Absicht, ihr absolute Ruhe zu gönnen. Und deshalb blieb ihr Flehen nach tröstenden Armen und einer beruhigenden Stimme unerhört. Ein Schauder durchlief sie. »Helft mir.« Das zweite Wort ging in ein leises Stöhnen finsterster Verzweiflung über. Ihre Qual war so abgrundtief, daß es unvorstellbar schien, einem neunjährigen Kind derartiges zugemutet zu haben -und genauso unvorstellbar schien es, daß ein neunjähriges Kind solche Qualen ertragen konnte. Doch nach kurzer Zeit ging ihr Atem langsamer, gleichmäßiger und normalisierte sich schließlich. Sie hörte auf zu weinen. Sie lag vollkommen still und regungslos da, wie im Tiefschlaf. Aber ihre weit aufgerissenen Augen starrten noch immer entsetzt in die Dunkelheit unter dem Bett.

10
    Als Laura noch vor der Morgendämmerung nach Hause kam, machte sie sich als erstes eine Kanne Kaffee. Einen dampfenden Becher nahm sie mit ins Gästezimmer, um hin und wieder einen Schluck zu trinken, während sie Staub wischte und das Bett bezog. Ihre vier Jahre alte gefleckte Katze, Pepper, lief ihr dabei ständig zwischen den Füßen herum, rieb sich an ihren Beinen und bestand darauf, gestreichelt und

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