Tür ins Dunkel
hierher und benutzen Sie, verletzen Sie.« Er griff nach ihrem Arm, schob den Ärmel hoch und deutete auf den blauen Fleck und auf die Abschürfungen. »Sie fügen Ihnen Schmerz zu, nicht wahr?«
»Ja, auf die eine oder andere Weise, manche mehr, manche weniger.«
»Warum lassen Sie sich das gefallen?«
»Es gefällt mir.« Dan hatte das Gefühl, in dieser Atmosphäre zu erstikken. Die Luft war unerträglich schwül und schwer, verunreinigt mit unsichtbarem Schmutz, der sich nicht auf der Haut ablagerte, sondern die Seele vergiftete. Er wollte diese Luft nicht einatmen, sich nicht infizieren lassen.
»Wer bezahlt Ihre Miete?«
»Miete brauche ich nicht zu bezahlen.«
»Wem gehört dieses Haus?«
»Einer Gesellschaft.«
»Welcher?«
»John Wilkes Enterprises.«
»Wer ist John Wilkes?«
»Das weiß ich nicht.«
»War nie ein Mann namens John hier?«
»Nein.«
»Woher wissen Sie etwas über diese John Wilkes Enterprises?«
»Ich bekomme jeden Monat einen Scheck von der Gesellschaft. Einen sehr ansehnlichen Scheck.«
Er stand auf, Regine war sichtlich enttäuscht. Er deutete auf die Koffer neben der Haustür. »Wollen Sie verreisen?«
»Für ein paar Tage.«
»Wohin?«
»Las Vegas.«
»Ist das eine Flucht, Regine?«
»Wovor sollte ich flüchten?«
»Leute werden ermordet - wegen der Ereignisse in jenem grauen Zimmer.«
»Aber ich weiß nicht, was in dem grauen Zimmer vorging, und es ist mir auch egal«, erwiderte sie. »Deshalb besteht für mich auch keinerlei Gefahr.«
Dan begriff, daß sie ihr eigenes graues Zimmer hatte und daß sie es mit sich herumtrug, wohin sie auch gehen mochte. In diesem grauen Zimmer war die eigentliche Regine eingekerkert.
»Sie brauchen Hilfe«, sagte er mitleidig. «
»Mir geht es ausgezeichnet.«
»Sie brauchen Rat.«
»Ich bin frei. Willy hat mich gelehrt, frei zu sein.«
»Frei wovon?«
»Verantwortung. Angst. Hoffnung. Frei von allem.«
»Willy hat Sie nicht befreit. Er hat Sie versklavt.«
»Sie können das nicht verstehen.«
»Er war ein Sadist.«
»Das ist nichts Negatives.«
»Er hat Sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Wir reden hier nicht über irgendeinen mittelmäßigen Psychologieprofessor, Regine. Dieser Wahnsinnige war eine Kapazität. Er arbeitete für das Pentagon, forschte auf dem Gebiet der Verhaltensmodifikation, entwickelte neue Methoden der Gehirnwäsche. Drogen, unterbewußte Beeinflussung und ähnliches mehr. Er übte eine Art schwarzer Magie aus. Regine. Um Gottes willen, er hat Sie in eine Masochistin verwandelt!«
»Auf diese Weise hat er mich befreit«, erklärte sie ruhig. »Wissen Sie, wenn man sich nicht mehr vor Schmerzen fürchtet, wenn man lernt, Schmerzen zu lieben, dann hat man vor überhaupt nichts mehr Angst. Und deshalb bin ich frei.«
Er hätte sie am liebsten geschüttelt, aber er wußte, daß das nichts nützen würde. Er hätte sie gern einem verständnisvollen Richter vorgeführt und sie zur psychiatrischen Behandlung in eine Klinik einweisen lassen. Aber er war nicht mit ihr verwandt, und deshalb würde kein Richter auf ihn hören. Es stand einfach nicht in seiner Macht, ihr irgendwie zu helfen.
»Soll ich Ihnen etwas Interessantes verraten?« sagte sie. »Ich glaube, daß Willy gar nicht wirklich tot ist.«
»O doch, er ist tot! Ich habe seine Leiche gesehen. Wir konnten ihn mit Hilfe von Fingerabdrücken und Zahnarztbefunden mit hundertprozentiger Sicherheit identifiziieren.«
»Mag sein«, sagte sie. »Aber trotzdem -nun, ich habe das Gefühl, daß er noch am Leben ist. Ich spüre seine Gegenwart... Ich fühle ihn. Ich kann das nicht erklären, aber es ist der Grund, weshalb ich nicht verzweifelt bin. Ich bin nicht überzeugt davon, daß er tot ist. Irgendwie ist er noch um mich.« Ihre Existenz hing so stark von Willy Hoffritz ab, von der Aussicht, hin und wieder wenigstens seine Stimme -im Telefon zu hören, daß sie nie imstande sein würde, seinen Tod zu akzeptieren. Dan vermutete, daß er sie mit der verstümmelten Leiche konfrontieren könnte, daß er sie zwingen könnte, ihre Hände auf das kalte Fleisch zu legen und sich die gräßlichen Wunden anzusehen -und sie wäre dennoch nicht überzeugt, daß er tot war. Hoffritz hatte ihre Psyche zerstört und die einzelnen Bruchstücke nach eigenem Belieben wieder zusammengefügt, mit sich selbst als einziger Bindekraft. Wenn sie akzeptierte, daß er tot war, gäbe es nichts mehr, was sie zusammenhielt, und sie könnte zerfallen und in Wahnsinn
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