Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
osmanische Armee an der Nordostgrenze am Rande des Kaukasus eine verheerende Niederlage gegen die Truppen des Zaren. Auf russischer Seite traten dem osmanischen Heer armenische Verbände entgegen, darunter auch Freiwillige, die aus Anatolien auf die russische Seite gewechselt waren. Als es dann noch zu einem armenischen Aufstand in Van kam, fiel in Istanbul die Entscheidung, die Armenier des Reiches, mit Ausnahme der armenischen Gemeinden in Istanbul und Izmir, aus ihren Siedlungsgebieten in der Kampfzone in die syrische Wüste zu deportieren. Hunderttausende mussten sich auf den Marsch nach Süden machen, ohne Versorgung und ohne Schutz gegen ständige Angriffe marodierender Milizen. Die Deportation wurde für die Mehrheit der Vertriebenen zu einem Todesmarsch – von denen, die völlig entkräftet in den Lagern in der syrischen Wüste ankamen, starben dann dort noch viele an Hunger und mangelnder medizinischer Versorgung.
Die überall im osmanischen Heer präsenten deutschen Stabsoffiziere wussten natürlich von diesen Todesmärschen, doch sie rieten mit wenigen Ausnahmen davon ab, dagegen einzuschreiten. Entweder, weil sie die Maßnahmen selbst für richtig hielten, oder weil sie den Bündnispartner nicht kritisieren wollten. So verhallten die Hilferufe einiger deutscher Missionare oder Konsularbeamter ungehört beziehungsweise wurden von der Obersten Heeresleitung in Berlin als irrelevant abgeheftet.
Nach den Niederlagen an der Nordfront, wo sich das Blatt erst nach der erfolgreichen russischen Revolution wendete, und den Niederlagen an den südlichen arabischen Frontabschnitten bestand das einstmals riesige Osmanische Reich, das zu seinen Glanzzeiten nahezu das gesamte Mittelmeer und die Gebiete rund ums Schwarze Meer kontrolliert hatte, bei Friedensschluss nur noch aus dem anatolischen Kernland und der Provinz Mossul, also dem heutigen Nordirak. Aus diesem militärischen Desaster ragte ein einsamer Erfolg heraus, der für die weitere Geschichte der Türkei noch von großer Bedeutung wurde: An den Dardanellen verhinderte die Armee unter großen Opfern auf beiden Seiten die Landung alliierter Truppen, hauptsächlich Engländer und Commonwealth-Soldaten aus Australien und Neuseeland. Kommandierender General auf osmanischer Seite war neben dem Deutschen Liman von Sander Mustafa Kemal, der damit den Grundstein für seine spätere Karriere als Oberbefehlshaber im Unabhängigkeitskrieg und erster Präsident der neuen türkischen Republik legte.
Die Deutschen und die Armenische Frage im Osmanischen Reich
Am Stadtrand von Potsdam, direkt an der Havel gelegen, hat sich nach der Wende die Bundeswehr ein schönes Areal zugelegt. Hinter hohen Mauern liegt hier die »Villa Ingenheim«, ein Schlösschen mit angrenzenden Verwaltungsgebäuden, in denen zu DDR-Zeiten schon die NVA saß und dort ihr militärgeschichtliches Forschungsinstitut betrieb. Seit 1994 ist hier nun das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr untergebracht, das größte historische Institut außerhalb des Universitätsbetriebes, wie man stolz verkündet. Das Amt gehört zwar zum Verteidigungsministerium, rühmt sich aber einer freien und kritischen Forschung insbesondere zur Bundeswehr und der Geschichte der NVA . Doch deutsche Militärgeschichte beginnt ja nicht erst mit der Bundeswehr. Oberstleutnant Dr. Gerhard P. Groß ist Spezialist für den Ersten Weltkrieg. Er hat über die deutsche Seekriegsführung promoviert und über den Schlieffen-Plan, der die Grundlage für einen Sieg über Frankreich hatte werden sollen, publiziert. Selbstverständlich kennt er sich auch mit dem deutschen Engagement im damaligen Osmanischen Reich aus. Er berichtet über Treffen mit türkischen Offizierskollegen, die noch heute mit Stolz über die damalige Waffenbrüderschaft mit Deutschland erzählen, und wie man Seite an Seite gegen Russen und Engländer gekämpft habe. Oberstleutnant Groß findet es schade, dass in Deutschland die Erinnerung an diese Waffenbrüderschaft weitgehend verloren gegangen ist. Nur an einem Punkt muss leider auch er passen. Auf die Frage, ob die deutsche kaiserliche Armee sich an den Verbrechen gegen die Armenier vielleicht mitschuldig gemacht hat, weiß er keine Antwort. Obwohl die Debatte um den »Völkermord« an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges regelmäßig auch in Deutschland die Gemüter erhitzt, ist die deutsche militärgeschichtliche Forschung in dieser Frage erstaunlich untätig geblieben.
Dabei zeigt schon
Weitere Kostenlose Bücher