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Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees

Titel: Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Gottschlich
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sondern an Hunger, Erfrierungen und Krankheiten. Dieses Desaster um die Jahreswende 1914 / 1915 hatte einen wichtigen Anteil an dem wenig später gefällten Beschluss, die Armenier im Osmanischen Reich mit Ausnahme der armenischen Bevölkerung von Istanbul und Izmir zu deportieren und zu massakrieren.
    Ein großer Teil der armenischen Bevölkerung lebte just in dem Gebiet, in dem die 3 . osmanische Armee von Dezember 1914 bis Februar 1915 unterging. Auf russischer Seite kämpften dabei sowohl Armenier, die unter russischer Oberhoheit lebten, als auch rund 4000 Armenier, die von osmanischer Seite aus zu den Russen übergelaufen waren. Nach türkischer Lesart sympathisierte die armenische Bevölkerung generell mit dem russischen Kriegsgegner, weil der Zar als oberster orthodoxer Herrscher sich schon lange vor Kriegsausbruch als Beschützer der armenischen Christen im Osmanischen Reich aufgespielt hatte. In Istanbul mutmaßte man, dass der Zar die Armenier wie zuvor schon die Christen auf dem Balkan zum Aufstand gegen die Osmanen ermuntert hatte.
    Als sich dann wenig später im April die armenische Bevölkerung von Van, der größten Stadt nahe des Iran, gegen die Osmanen erhob und die Russen erfolgreich zur Hilfe rief, wurde einen Monat später in Istanbul der Befehl zur Deportation der armenischen Bevölkerung nach Süden, in die syrischen Teile des Reiches gegeben. Diese Deportationen gestalteten sich in der Realität zu Todesmärschen. Von den fast 800000 Menschen, die in den Sommermonaten 1915 durch Südostanatolien getrieben wurden, kam nur rund ein Drittel lebend im Zielgebiet an, und auch dort gab es nichts, wovon sie sich hätten ernähren können. Zusammen mit den Erschießungen armenischer Männer an Ort und Stelle sind so von den rund 1 , 8 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich wohl rund eine Million ermordet worden oder im Verlauf der Deportationen umgekommen.
    Hauptstreit in der historischen Literatur ist, inwieweit die Deportation von Beginn an als Vernichtung der Armenier geplant war, also einem Beschluss zum Völkermord entsprach, oder ob die hohe Zahl der Toten (türkische Quellen gehen von maximal 500000 Toten aus) den widrigen Umständen des Krieges (Nahrungsmangel und Überfälle durch irreguläre, überwiegend kurdische Banden) geschuldet war. Richtig ist auf jeden Fall, dass sich die zu der Zeit herrschenden »Jungtürken«, die Partei für Einheit und Fortschritt mit Enver Pascha, Talaat Pascha und Cemal Pascha an der Spitze, nach anfänglicher, freiheitlicher Ausrichtung im Sinne einer multiethnischen, parlamentarischen Demokratie unter dem Schirm einer konstitutionellen Monarchie immer mehr in eine türkisch-chauvinistische Richtung entwickelt hatten, die nach dem Untergang des osmanischen Vielvölkerstaates nun die türkische Nation in den Vordergrund stellte. Nach den militärischen Niederlagen auf dem Balkan unmittelbar in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, wo die Christen des Reiches sich gegen die Osmanen erhoben hatten und dabei Hunderttausende von Muslimen vertrieben und töteten, spricht viel dafür, dass etliche Mitglieder der Partei die christliche Bevölkerung in dem noch verbliebenen Reichsgebiet äußerst misstrauisch betrachteten und von vornherein eines großen Aufstandes verdächtigten. In dieser Situation begann die intensive Kooperation der nationalistischen Jungtürken mit den ebenfalls nationalistisch ausgerichteten preußischen deutschen Junkern, die damals überwiegend das kaiserliche Offizierskorps stellten und nun als Berater in Istanbul agierten.
    Fast alles, was über deutsche Reaktionen auf die Armenierdeportationen und Massaker bekannt ist, stammt entweder aus dem Schriftverkehr des diplomatischen Dienstes oder von deutschen Missionaren, die unter den Armeniern lebten. Die Tendenz des diplomatischen Schriftverkehrs sieht so aus, dass, wenn es empörte Berichte deutscher Konsuln aus den betroffenen Provinzen gab, diese dann in der Botschaft erst einmal kräftig relativiert wurden, um dann in vorsichtigen Dosierungen nach Berlin weitergereicht zu werden. Selbst wenn sich im Außenministerium oder bei Reichskanzler Bethmann-Hollweg demzufolge Protest regte und Botschafter von Wangenheim daraufhin bei Enver oder Talaat Pascha vorsichtig intervenierte, war doch immer klar, dass das Bündnis mit dem Osmanischen Reich Vorrang vor allen anderen Erwägungen hatte und wegen Protesten gegen Massaker an Armeniern auf keinen Fall belastet werden sollte. Denn wenn auch die

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