Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
Integration in die EG setzte, wollte die Linke zurück zur Neutralitätspolitik der 1930 er und 40 er Jahre und eine Loslösung aus der amerikanischen Bevormundung. Vor allem der damals einflussreichste Politiker der Linken, Bülent Ecevit, misstraute den USA und Großbritannien, weil beide Regierungen ihm während der Auseinandersetzungen auf Zypern in den Rücken gefallen waren. Als die EG 1978 sowohl Griechenland als auch der Türkei den Beginn von Beitrittsverhandlungen anbot, lehnte Ecevit deshalb ab. Damit endete die synchrone Einfädelung der beiden Länder in die politische Integration Westeuropas. Griechenland wurde 1981 EU -Mitglied, während bei der Türkei nicht viel gefehlt hätte und das Land wäre auch aus der Nato ausgetreten. Um eine weitere Abkehr von den USA zu verhindern, putschte das Militär 1980 erneut und warf damit die demokratische Entwicklung des Landes um mindestens ein Jahrzehnt zurück.
Als die türkische Regierung dann Ende der 1980 er Jahre auf das EG -Angebot zurückkam und nun von sich aus eine Mitgliedschaft und Beitrittsgespräche beantragte, war der Kalte Krieg vorbei, und die EG hatte kein Interesse mehr. Für die Europäische Union ging es jetzt um die Integration Osteuropas, die Südostflanke der Nato war nicht mehr relevant. Entsprechend frustrierend für die türkische Politik gestalteten sich denn auch die weiteren Annäherungsbemühungen in den 90 er Jahren. Erst als die türkische Seite damit drohte, die Annäherungspolitik gänzlich abzubrechen, kam 1999 in Helsinki der Beschluss, die Türkei zum Beitrittskandidaten zu erklären. Doch auch das hätte wohl letztlich nichts daran geändert, dass der Weg der Türkei nach Westen an der Schwelle zur Europäischen Union beendet worden wäre, hätte sich die Weltpolitik nicht mit dem 11 . September 2001 noch einmal gravierend verändert. Erst der Anschlag auf die Türme in New York machte die Türkei als einziges Land mit einer überwiegend islamischen Bevölkerung, das sich von sich aus zum Westen bekannte, für die EU wieder interessant.
Doch jetzt liegt das Problem nicht mehr bei einer antikapitalistisch und tendenziell antiwestlichen Bevölkerung in der Türkei wie noch in den 1970 er Jahren, sondern jetzt kann die politische Klasse Westeuropas ihrer Bevölkerung nicht erklären, warum man zur Bekämpfung des »islamistischen Terrors« ein islamisches Land zum Mitglied der EU machen soll. Für die Massen ist dieser Politikansatz zu sophistisch, sie sind schlicht der Meinung: »Die gehören doch gar nicht zu uns!« Wenn diese Stimmung anhält, wird sich die Türkei außenpolitisch neu orientieren.
Einwanderer – Irrwege deutscher Integrationspolitik
Die Einwanderung von Türken nach Deutschland begann in der zweiten Hälfte der 1950 er Jahre. Allerdings kamen zu der Zeit vornehmlich Italiener, weil die Bundesrepublik als erstes Land mit Italien ein Anwerbeabkommen geschlossen hatte. Das änderte sich 1961 . In diesem Jahr – nicht zufällig das Jahr des Mauerbaus und das Ende des Zustroms aus der DDR – schloss die damalige Bundesregierung auch ein Anwerbeabkommen mit der Türkei ab. Das bundesdeutsche Wirtschaftswunder brauchte Nachschub an billigen Arbeitskräften. Im Bergbau, in der Autoindustrie, in den Stahlwerken und in den großen Chemiewerken – überall wurden Arbeiter dringend gebraucht und in ganz Südeuropa angeworben. Die sogenannten Gastarbeiter der ersten Stunde erzählen heute noch kopfschüttelnd, wie sich damals in den Dörfern Anatoliens das Gerücht verbreitete, in diesem fernen Deutschland könne man unendlich viel Geld verdienen.
Doch der Weg dorthin war lang und schwierig. Es gab deutsche Anwerbekommissionen, die in den größeren Städten Stationen eingerichtet hatten, in denen die Leute vorsortiert und einem ersten Gesundheitscheck unterzogen wurden. Bevor jemand das Ticket zu einer Zugfahrt nach Norden bekam, musste er sich dann zumeist noch zwei weiteren gründlichen Untersuchungen stellen, um sicher zu gehen, dass die deutschen Firmen auch nur bestes »Material« anwarben. Fast alle berichten, dass die Ankunft in Deutschland für sie ein Schock war. Der Mangel an Verständigung, die völlig andere Umgebung und die Unterbringung in tristen Baracken, die zum Teil schon als Unterbringung für die Zwangsarbeiter im Dritten Reich gedient hatten, machten ein Ankommen in Deutschland nicht leicht. Aber die Männer – es waren ja ganz überwiegend Männer, die angeworben wurden – hatten den
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