Türkisgrüner Winter (German Edition)
einfach.«
Einen Moment sah ich ihm in die Augen, dann senkte ich den Blick und nickte. »Wenn das dein Wunsch ist, dann werde ich ihn dir natürlich erfüllen. Ich kann verstehen, dass du Ruhe brauchst.« Ich hoffte, dass ich mich besser anhörte, als ich mich fühlte. Es war egal, wie es mir dabei ging. Alles, was für mich zählte, war Elyas‘ Befinden.
»Ich kann auch nach Hause laufen«, sagte ich. »Dann hättest du morgen keine Umstände wegen dem Auto.«
»Nein«, antwortete er. »Nicht laufen. Auf keinen Fall. Ich fühle mich wohler, wenn du mit dem Auto fährst. Es macht mir keine Umstände.«
»Wie du willst«, sagte ich leise.
Ein letztes Mal versuchte ich ihm in die Augen zu blicken. Er sah weg und steckte die Hände in die Hosentaschen.
»Wenn irgendetwas ist oder du mit jemandem reden willst – jederzeit«, sagte ich.
Er nahm das zur Kenntnis, aber mein Eindruck war, dass er den Worten nicht allzu viel Bedeutung schenkte.
»Wirklich, Elyas. Das war keine Floskel.«
Dieses Mal nickte er und schien mir zu glauben. Auch wenn ich an seinem Blick sah, dass er nicht vorhatte, auf mein Angebot zurückzukommen. Langsam fiel mir das Atmen immer schwerer.
Er räusperte sich. »Also dann, gute Nacht … Und danke«, sagte er mit heiserer Stimme, wandte sich ab und verschwand vor meinen Augen durch die Haustür. Lange starrte ich auf das rechteckige Holz, das uns jetzt trennte.
Wofür hatte sein Dank gegolten? Für mein Gehen? Für meinen Versuch ihm zu helfen, auch wenn ich kläglich gescheitert war?
Ich wusste es nicht.
Erst als das Licht im Treppenhaus ausging und ich wusste, dass er im fünften Stock angekommen war, machte ich kehrt und lief zum Mustang. Ich setzte mich hinein, startete den Motor und spürte nichts als Leere in mir. Meine Gedanken waren träge und wie gelähmt. Das Einzige, was noch funktionierte, war mein Unterbewusstsein, das den Ablauf vom Fahren in- und auswendig kannte und mich wohlbehalten zum Studentenwohnheim brachte. Direkt gegenüber vom Eingang parkte ich den Wagen. So könnte ihn Elyas morgen problemlos wiederfinden.
Als ich in meiner Wohnung ankam, fand ich sie dunkel vor. Nur das Licht des Laptops leuchtete auf dem Schreibtisch. Ich hatte vergessen, ihn vom Strom zu nehmen und auszumachen. Ich schaltete das Zimmerlicht an und bemerkte, dass Evas Bett noch unberührt war. Wahrscheinlich verbrachte sie die Nacht bei Nicolas oder war noch am Feiern. Ich schlüpfte aus den Schuhen, zog die Jacke aus und lief zum Laptop, um ihn auszuschalten. Als ich ihn erreichte, sah ich, dass die Mail immer noch geöffnet war.
Die E-Mail …
Das Gespräch mit Sebastian …
Der Brief …
Elyas‘ bevorstehender Umzug …
All das kam mir mit einem Mal so weit entfernt vor, als würde es schon Monate zurückliegen. Die Ereignisse des heutigen Abends hatten alles Ungeklärte zwischen Elyas und mir in den Hintergrund rücken lassen. Ich setzte mich an den Schreibtisch und konnte nicht anders, als die geschriebenen Zeilen noch einmal zu lesen.
Liebe Emely,
ich weiß, dass ich dir versprochen habe, dich in Ruhe zu lassen. Ich hasse mich dafür, dass ich das Versprechen hiermit breche. Aber ich kann nicht anders.
Ungewissheit ist etwas sehr Schlimmes. Ich kann mir denken, was es zu bedeuten hat, dass du mir keine Antwort auf den Brief gibst. Und doch weiß ich es nicht mit Sicherheit. Nur ein Wort von dir und ich wüsste, woran ich bin.
Hast du den Brief überhaupt gelesen?
Habe ich dich verloren, Emely? Endgültig?
Oder brauchst du Zeit? Dann sag mir das doch, ich würde dir alle Zeit der Welt geben.
Ich weiß, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Nicht nur einen, sondern mehrere. Ich überlege Tag und Nacht, wie ich das jemals wiedergutmachen könnte. Aber alles erscheint mir nichtig. Wahrscheinlich kann man so etwas nicht wiedergutmachen. Es ist unverzeihlich. Ich würde es aber trotzdem so gerne versuchen, Emely. Du müsstest gar nichts tun. Nur es mich versuchen lassen. Glaubst du, dafür gibt es eine Möglichkeit? Eine ganz kleine vielleicht?
Emely, wenn ich die Augen schließe, sehe ich dein Gesicht, spüre deinen Körper unter meiner Hand und rieche den Duft deiner Haare. Ich wünschte, ich könnte dich noch einmal im Arm halten.
Ich weiß, dass ich es nicht verdient habe, aber ich wünsche es mir trotzdem so sehr: Bitte gib mir noch eine Chance. Wenn nicht als dein Freund, vielleicht zumindest als Mensch in deinem Leben?
Es tut mir so leid, Emely.
In Liebe,
Elyas
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