Türkisgrüner Winter (German Edition)
Neujahrspartys? Wenn man feiern wollte, fand man wohl immer irgendeinen dämlichen Grund, um das zu rechtfertigen.
»Ich dachte, du hast kaum geschlafen?«, fragte ich.
»Habe ich auch nicht. Aber durch das Duschen bin ich wieder ein bisschen wacher. Was ist nun, möchtest du mit?«
Bei allem, was ich mir im Kopf vorstellen konnte, war eine Party mit Sicherheit das letzte, für das ich jetzt Lust aufbrachte. Und außerdem, wer wusste schon, um was für eine Party es sich dabei handeln würde? Bei Eva müsste ich aufpassen, dass ich am Ende nicht noch bei einem Gangbang landete. Ich verzog das Gesicht und musste nicht lange überlegen, wie meine Antwort ausfiel.
»Tut mir leid, aber mir ist heute wirklich nicht nach feiern.«
»Kann ich nachvollziehen, trotzdem schade.« Sie ging zu ihrem Schrank und holte ein anderes Paar Schuhe hervor. Die Dinger waren noch höher und hatten so spitze Absätze, dass ich mich wahrscheinlich schon beim Anprobieren umgebracht hätte.
»Kommst du wieder oder schläfst du bei Nicolas?«, fragte ich.
»Nicolas kommt nicht mit. Ich treffe mich dort mit einer Studienkollegin. Wann ich wieder zurück bin, hängt davon ab, wie die Party ist.« Mit den neuen Schuhen an den Füßen schritt sie zur Tür und zog sich einen Mantel über.
»Verstehe. Dann wünsche ich dir viel Spaß.«
»Danke, den werde ich hoffentlich haben. Mach‘s gut und halt die Ohren steif!«
»Mache ich. Tschüss!«
Ich sah ihr nach, bis sie mit ihrem wehenden Mantel durch die Tür verschwunden war. Anschließend blickte ich mich im leeren Zimmer um. Und was sollte ich jetzt machen? Nach einer Weile stach mir das Bücherregal ins Auge. Ich schwang mich aus dem Bett, ließ den Finger über die verschiedenen Titel gleiten und zog mir einen kürzlich gekauften Roman heraus. Eine leichte Lektüre war jetzt genau das Richtige. Ich ließ mich bäuchlings aufs Bett fallen, schlug die erste Seite auf und begann zu lesen.
Für die nächsten eineinhalb Stunden befand ich mich mit zwei kleinen Jungs im Afghanistan der siebziger Jahre und ließ mit ihnen einen Drachen steigen. An einem normalen Tag hätte ich das Buch sicher noch eine ganze Weile länger in der Hand behalten, heute war ich froh, dass es mich immerhin für neunzig Minuten von der Realität abgelenkt hatte.
Elyas hatte sich nach wie vor nicht gemeldet und so langsam gab ich die Hoffnung auf, dass sich daran heute noch etwas ändern würde. Ich klappte das Buch zu, rieb mir die Augen und rappelte mich auf, um duschen zu gehen.
Ich stand unter dem Strahl und massierte mir den Nacken. Das warme Wasser schaffte es, die Verspannungen meiner Muskeln ein bisschen zu lösen, wenn es auch gegen meine innere Angespanntheit nichts ausrichten konnte. Trotzdem fühlte ich mich besser und angenehm aufgewärmt, als ich frisch geduscht wieder aus dem Bad kam. Inzwischen war es 22:41 Uhr. Ich zog mir ein frisches T-Shirt über die nackte Haut, schlüpfte in Slip und Socken und tapste zum Lichtschalter. Ich löschte das Licht, krabbelte unter meine Decke und knipste die kleine Nachttischlampe neben dem Bett an. Mit der Fernbedienung betätigte ich die Stereoanlage und wenig später klangen die ersten traurigen Töne von Anthony and the Johnsons »Hope there’s someone« durch den Raum. Im Drei-Minuten-Takt blickte ich auf mein Handy. Wie hatte Elyas diese Ungewissheit zwei ganze Monate ausgehalten? Ich verzweifelte schon nach nicht einmal vierundzwanzig Stunden. Ob ich ihm ein unausgesprochenes Limit setzen sollte? Sagen wir, zwei Wochen – und wenn er sich bis dahin nicht gemeldet hätte, würde ich noch einmal auf ihn zugehen?
Der Plan war gut. Fehlten nur noch vier Kilo Valium, damit ich die zwei Wochen auch durchhalten könnte.
Ich presste den Kopf ins Kissen. Wenn ich doch nur wüsste, was in dem gottverdammten Brief gestanden hatte. Und wäre ich doch vor zwei Monaten nicht einfach aus dem Haus gerannt und hätte Elyas erklären lassen …
War alles für immer verloren zwischen uns beiden? Aber selbst falls nicht … Wäre ich überhaupt in der Lage, mich noch mal auf ihn einzulassen? Wie sollte ich jemals mit ihm glücklich werden? Müsste ich nicht jede Sekunde Angst haben, ihn wieder zu verlieren?
Ich wusste es nicht, konnte mir aber vorstellen, dass es so wäre. Der Gedanke fühlte sich an wie schwere Ketten, die sich um meinen Oberkörper legten und sich langsam zuzogen. Und trotzdem wünschte ich mir im gleichen Augenblick nichts sehnlicher, als dass Elyas
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