Türme Der Dämmerung
mich gefangen, bis du nach Westwind zurückkehrtest. Jetzt – sogar schon zum Zeitpunkt der Verlobung – würde es mich töten, das Band zu lösen. Die liebe Schwester hatte keine Ahnung, was du bist, und sie musste dafür sorgen, dass du am Leben bleibst, um ihre Pläne bezüglich der Garde deiner Mutter zu unterstützen. Hätte es einen besseren Weg gegeben?«
Creslin schaudert, doch die Spannung zwischen ihnen ist verflogen.
»Erinnerst du dich, was du im Gefangenenlager beim Straßenbau gefühlt hast?« Ihre Stimme klingt wieder barsch.
»Nein. Ich habe zwei Erinnerungsblöcke, einer ist ohne Vergangenheit.«
»Man nennt es das Weiße Gefängnis. Jedenfalls steht es so im Buch. Korweils Bibliothek ist glücklicherweise gut bestückt.« Sie runzelt die Stirn. »Aber es ist nur bei Menschen wirksam, die nicht wissen, was es ist oder wie es wirkt … oder bei jemandem, der verwundet oder krank ist.«
»Ich war einfältig.« Creslin blickt erschöpft zu dem kleinen Spiegel auf dem Tisch.
Megaera schüttelt das lange rote Haar. Bei seinem Geständnis zuckt ein Lächeln um ihre Mundwinkel.
Creslin betrachtet ihre zarte Haut über dem ausgeschnittenen blaßgrünen Kleid. Zum ersten Mal sieht er sie nicht in einer hochgeschlossenen Tunika, der Reitjacke oder im weiten Umhang mit Kapuze. Sein Herz schlägt schneller.
»Hör auf!« Ihre Wangen sind hochrot.
»Oh …« Ihre Erwiderung trifft ihn wie ein eisiger Windstoß auf dem Dach der Welt. »Du fühlst alles, was ich fühle oder denke?«
Sie blickt aus dem Fenster. »Nein. Nur … wenn du nah bist und starke Gefühle hegst. Als du beim Bau der Straße gearbeitet hast … entsetzlich …«
Creslin wartet.
»Du hast geschrieben, wir müssen zusammenarbeiten«, sagt er schließlich.
»Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«
»Tun?« Creslin würde sich wegen dieser dümmlichen Frage am liebsten die Zunge abbeißen. »Ich bin nicht sicher. Ich hatte gehofft, in Fairhaven etwas zu lernen und …«
»Nun, hoffentlich hast du etwas gelernt«, unterbricht Megaera ihn barsch.
»Eine Menge.« Er lacht gequält. »Doch nicht das, was mir vorschwebte.« Er macht eine Pause. »Nach Westwind kann ich nicht zurückkehren. Wohin … können wir gehen?«
»Es geht nicht darum, wohin wir gehen können, sondern du!«
»Das ist nicht ganz richtig. Ich nehme an, wir könnten nach Sarronnyn zurückkehren – oder wir könnten hier bleiben. Der Herzog braucht jede Unterstützung, die er finden kann, auch wenn er es nicht zugibt.«
»Glaubst du tatsächlich, wir wären dort oder hier lange sicher?«
»Warum nicht hier?« fragt Creslin.
»Der Herzog hat keine Erben. Als junger Mann hatte er Fleckfieber. Die Herzogin starb vor vier Jahren. Er hat keine Nachkommen«, erklärt Megaera kurz und bündig.
Creslin nickt. »Die Magier warten auf seinen Tod. Doch wenn du bliebest und Anspruch auf das Herzogtum erhöbest …«
»Ich freue mich, dass ich nicht alles erklären muss.«
Creslin beißt die Zähne zusammen. Dann bricht er das Schweigen. »Damit bleibt uns kein Ort in Candar.«
»Du hast brillante Augenblicke, Beinah-Bräutigam. Besonders, wenn du Offensichtliches so klar aussprichst.«
»Suchen wir nach einer Lösung, oder bist du nur darauf aus, mich zu beleidigen?« Kaum hat Creslin die Worte ausgesprochen, wünscht er, er hätte es nicht getan.
»Wahrheit ist nie eine Beleidigung, es sei denn, du möchtest betrügen.«
Er fragt sich, warum er überhaupt mit Megaera spricht. Aber schließlich hat sie es sich nicht ausgesucht, mit ihm verbunden zu sein. »Ich weiß nicht viel über die menschliche Natur, auch nicht über Intrigen der Herrscher und … wahrscheinlich … wenig über Frauen, zumindest über diejenigen, die in Westwind aufgewachsen sind. Das weiß ich, und das weißt du. Ich gebe es zu. Wozu soll es gut sein, mir das dauernd unter die Nase zu reiben? Fühlst du dich dadurch überlegen?«
»Vielleicht bin ich das – in gewisser Beziehung.« Ihre Miene verrät Anspannung. »Sei verdammt …«, flüstert sie, ohne ihn anzuschauen.
Creslin schüttelt den Kopf. In einem Augenblick ist Megaera beinahe zugänglich, doch im nächsten … Sie wirkt wie zwei verschiedene Menschen. Doch dann begreift er endlich. Seine Augen brennen. Er bemüht sich, seine Gefühle zu unterdrücken. Fast zu spät begreift er, dass sie beinahe gleichzeitig das fühlt, was er verspürt.
»Hör auf! Ich brauche dein verdammtes Mitleid nicht. Bleib lieber dümmlich und schwer
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