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Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis

Titel: Tunnel - 01 - Das Licht der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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die Lehre und das Wissen unserer Vorväter, durch die Jahrhunderte hindurch an uns weitergereicht im Buch der Katastrophen.«
    Im Saal herrschte absolute Stille – kein einziges Husten oder Rascheln war zu hören. Nach einer Weile richtete der Priester erneut das Wort an die Gemeinde, diesmal jedoch in einem ruhigeren, fast schon zwanglosen Ton.
    »So soll es verkündet werden, so soll es verstanden werden.« Dann senkte er den Kopf.
    Will meinte, Mr Jerome in einer der Kirchenbänke gesehen zu haben, war sich aber nicht sicher, da er sich kaum bewegen konnte.
    Und dann fiel die ganze Gemeinde plötzlich und ohne jede Vorwarnung in den monotonen Singsang des Styx ein: »Die Erde ist des HERRN und was drinnen ist, der Erdboden und was drauf wohnet. Wir sind unserem Erlöser, Sir Gabriel, und den Gründungsvätern zu ewigem Dank verpflichtet für ihre Führung und die Vereinigung zu einem Geist. Denn alles, was tief in Gottes Erde geschieht, geschieht auch in den höchsten Himmeln, im Königreich Gottes.«
    Erneut entstand eine kurze Stille. Dann fuhr der Priester allein fort: »Wie oben, so unten.«
    Die Gemeindemitglieder dröhnten ein einstimmiges Amen, dann trat der Styx einen Schritt zurück, und Will verlor ihn aus den Augen. Er wandte sich Cal zu, um ihm eine Frage zu stellen, doch er bekam keine Gelegenheit mehr dazu, da die Gemeinde bereits zum Ausgang drängte und den Saal genauso schnell wieder verließ, wie sie sich versammelt hatte. Die beiden Jungen wurden in einem Strom von Menschen mitgerissen, bis sie sich schließlich auf der Straße wiederfanden und zusahen, wie die Leute in alle Richtungen verschwanden.
    »Dieses › Wie oben, so unten‹ versteh ich nicht«, wandte Will sich leise an Cal. »Ich dachte, ihr hasst alle Übergrundler.«
    »Oben ist nicht Übergrund« ,erwiderte Cal so laut und in einem dermaßen gereizten Ton, dass mehrere stämmige Männer in Hörweite sich umdrehten und Will verächtlich schnaubend musterten. Will zuckte zusammen und fragte sich allmählich, ob es wirklich so toll war, einen jüngeren Bruder zu haben, wie immer behauptet wurde.
    »Aber wie oft müsst ihr das denn machen – zur Kirche gehen?«, wagte Will einen neuen Vorstoß, als er sich von Cals letzter Antwort ausreichend erholt hatte.
    »Einmal täglich«, sagte Cal. »Ihr Übergrundler geht doch auch zur Kirche, oder?«
    »Nein, jedenfalls nicht unsere Familie.«
    »Merkwürdig«, meinte Cal und schaute sich verstohlen um, ob auch niemand zuhörte. »Ist sowieso ’ne Menge Blödsinn«, stieß er leise, aber verächtlich hervor. »Los, wir treffen uns mit Tam. Er ist in der Schenke in Low Holborn.«
    Als sie das Ende der Straße erreichten und in eine Gasse abbogen, flog eine Schar weißer Stare über sie hinweg, bis der ganze Schwarm eine Kehrtwende machte und in die Richtung verschwand, wohin die Jungen nun liefen. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Bartleby auf und gesellte sich zu ihnen. Sein Schwanz zuckte und sein Unterkiefer klappte beim Anblick der Vögel begehrlich auf und zu. Doch dann stieß er ein zartes und wehleidiges Miauen hervor, das in völligem Widerspruch zu seinem Erscheinungsbild stand.
    »Komm schon, du dummer Kater, die fängst du doch nie«, sagte Cal, als das Tier mit hoch erhobenem Kopf an ihnen vorbeispazierte und den Vögeln sehnsüchtig nachstarrte.
    Auf dem Weg zum Wirtshaus kamen die Jungen an armseligen Hütten und kleinen Werkstätten vorbei – darunter eine Schmiede, in der ein alter Schmied im Schein der Flammen seines Schmelzofens unermüdlich auf einen Amboss hämmerte. Will sah Läden mit Namen wie »Geo. Blueskin – Stellmacher« und »Erasmus-Apotheke«. Ganz besonders faszinierte ihn jedoch ein dunkler, ölig und schmierig wirkender Hinterhof mit alten Kutschen und defekten Maschinen.
    »Müssten wir nicht allmählich zurückgehen?«, fragte er und blieb stehen, um einen Blick durch das schmiedeeiserne Gitter auf die seltsamen Vehikel zu werfen.
    »Nein, Vater wird noch eine Weile fort sein«, erwiderte Cal. »Los, komm weiter, wir sollten uns beeilen.«
    Während sie auf die Gegend zusteuerten, von der Will annahm, dass sie im Zentrum der Höhle liegen musste, schaute er sich immer wieder um und betrachtete die dicht gedrängten Häuser, die in scheinbar endlosen Reihen aufragten. Bis zu diesem Moment hatte er gar nicht begriffen, wie riesig die Stadt war. Und als er nach oben blickte, sah er einen schimmernden Dunstschleier, ein wogendes, lebendiges Etwas, das

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