Tunnel - 02 - Abgrund

nur irgendwelche Körper. Als Cal selbst einen Blick durch die Scheiben warf, entdeckte er zwei und in manchen Zellen sogar drei Leichen, die ausgestreckt auf dem Boden lagen.
    »Einige sehen aus wie Kolonisten«, sagte Cal, als er ihre Kleidung bemerkte.
    »Und einige waren Abtrünnige«, erklärte Elliott mit angespannter Stimme.
    »Wer hat das getan? Was hat diese Leute umgebracht?«, fragte Cal.
    »Die Styx«, erwiderte sie.
    Die Erwähnung des Namens brachte Cal den Ernst ihrer Lage schlagartig wieder in Erinnerung, und Panik überkam ihn.
    »Dafür haben wir jetzt keine Zeit!«, rief er und versuchte, Elliott zum Ausgang zurückzuschieben.
    »Nein, warte«, sagte sie und musterte ihn stirnrunzelnd, stieß ihn aber nicht fort.
    »Wir können hier nicht länger herumtrödeln! Die Styx sind uns bestimmt schon auf den Fersen …«, keuchte er, und ihm wurde bewusst, dass sich ihre Rollen vertauscht hatten und Elliott nun ihre Flucht verzögerte.
    »Nein, das hier ist wichtig. Diese Zellen wurden versiegelt!«, sagte Elliott, während sie die Kanten der Türen untersuchte. Sämtliche Zellentüren waren an allen vier Seiten mit dicken Schweißnähten verschlossen worden, und es gab weder eine Türklinke noch sonst irgendeinen Öffnungsmechanismus. »Kapierst du denn nicht, was das ist, Cal? Wir sind hier im Testlabor der Styx, von dem wir schon so viel gehört haben – die Weißkragen haben hier irgendeine neue Waffenart erprobt!«
    Cal stand direkt hinter Elliott, die zur nächsten Zelle gegangen war, und bemerkte, dass diese Tür noch kein Kontrollhäkchen besaß. Als Elliott einen Blick hineinwarf, schnellte auf der anderen Seite der Glasscheibe plötzlich das Gesicht eines Mannes hoch, mit blutunterlaufenen und geschwollenen Augen. Jeder Zentimeter seiner Haut schien mit schlimmen roten Geschwüren bedeckt und seine Wangen waren hohl. Er befand sich in einem Zustand höchster Panik und schrie ihnen etwas zu, doch durch das Glas konnten sie nicht mal ein Wispern hören.
    Dann begann er, mit den Fäusten gegen das Fenster zu trommeln, doch auch diesmal drang kein Laut durch die Scheibe. Nach einer Weile hielt er geschwächt inne und starrte sie aus wahnsinnigen, hin und her zuckenden Augen an.
    »Ich kenne diesen Mann«, sagte Elliott heiser. »Er ist einer von uns.«
    Sein Gesicht war vollkommen ausgezehrt, als hätte man ihn hungern lassen. Er sagte irgendetwas, versuchte, mit Elliott zu kommunizieren, indem er die Worte mit den Lippen malte.
    Doch das Mädchen konnte nichts daraus ablesen.
    »Elliott!«, flehte Cal. »Vergiss ihn, okay? Wir müssen hier weg!«
    Hastig fuhr sie mit den Fingern über eine der Schweißnähte, die sich in einem dicken Wulst um die gesamte Tür zog, und fragte sich, ob sie sie vielleicht irgendwie aufsprengen konnte. Aber sie wusste, dass sie dafür nicht genügend Zeit hatten. Ihr blieb nichts anderes übrig, als dem Mann ein hilfloses Achselzucken zu schenken.
    »Lass uns verschwinden«, rief Cal und brüllte dann: »Jetzt!«
    »Okay«, stimmte Elliott ihm zu, machte auf dem Absatz kehrt und rannte zur Eingangstür zurück.
    Gemeinsam stürmten sie hinaus und wurden sofort wieder von der dunklen Welt des Bunkers mit der stauberfüllten Luft empfangen. Nachdem sich ihre Augen von der klinischen Helligkeit des seltsamen Raums auf das Dämmerlicht umgestellt hatten, wandten sie sich erneut in die Richtung, die sie ursprünglich genommen hatten.
    »Bleib dicht bei mir«, flüsterte Elliott, während sie leise vorwärts schlichen.
    Nach wenigen Metern blieb sie abrupt stehen.
    »Na los, mach schon! Welcher Weg?«, hörte Cal sie eindringlich murmeln. »Der hier muss der richtige sein«, beschloss sie im nächsten Moment.
    Nachdem sie weitere Flure passiert hatten, erreichten sie einen kleinen Eingangsbereich, von dem auf beiden Seiten eine Tür abging. Elliott lief von einer Tür zur anderen, hielt eine Sekunde inne und schloss die Augen.
    An diesem Punkt hatte Cal jegliches Vertrauen in die Fähigkeiten des Mädchens verloren, doch ihm fehlte die Zeit, seine Zweifel zu äußern, weil in dem Moment ein metallisches Dröhnen zu ihnen drang. Eine Tür wurde mit Gewalt aufgebrochen – die Grenzer kamen immer näher.
    Ruckartig schlug Elliott die Augen auf.
    »Ich hab’s!«, rief sie und entschied sich für eine der Türen. »Wir sind schon so gut wie zu Hause!«
    Am Ende einer langen Folge von Abzweigungen rutschten und schlitterten sie die Stufen hinunter, die in den gefluteten