Tunnel - 02 - Abgrund
ungläubig den Kopf. Dann schauten beide zu Elliott. Doch für eine Bestätigung brauchte Will weder die Kratzer an ihrer Wange noch die tiefe, blutende Schnittwunde an ihrer Schläfe zu betrachten – der Anblick ihrer zusammengekniffenen, wütend funkelnden Augen genügte.
»Aber … wie …?«, fragte Will atemlos.
Doch das Mädchen machte einfach auf dem Absatz kehrt und marschierte wortlos in Richtung des unterirdischen Meeres, an dessen Ufer Will so viele Stunden entlanggeirrt war.
TEIL VIER
D IE I NSEL
34
Die Jungen hatten enorme Schwierigkeiten, mit Elliott mitzuhalten, da das Mädchen ohne Rücksicht voranstürmte, als wäre es ihr egal, ob die anderen ihr folgen konnten.
Von den dreien hatte Cal die größten Probleme: Er schleppte sich mühsam vorwärts und fiel sogar mehrfach hin. Bei jedem Sturz auf den sandigen Boden dachte Will ernsthaft, sein Bruder würde nicht mehr aufstehen, doch Cal gelang es immer wieder, sich aufzurappeln und weiterzutrotten. Dabei murmelte er die ganze Zeit etwas vor sich hin – es klang nach einem Gebet, aber Will war sich nicht sicher und wollte Cal auch nicht fragen. Ihn quälten rasende Kopfschmerzen, die er einfach nicht loswerden konnte; außerdem fühlte er sich durch den Mangel an Schlaf und Nahrung stark geschwächt. Und sein Durst schien noch immer unstillbar: Ohne abzusetzen, trank er gierig aus seinem Wasserbehälter, doch das Durstgefühl ließ nicht nach.
Keiner der Jungen sprach ein Wort, obwohl ihnen Tausende Gedanken durch den Kopf schossen. Würde Elliott jetzt, da Drake fort war, sie einfach irgendwo zurücklassen und sich aus dem Staub machen? Oder würde sie die Pläne ausführen, die sie mit Drake besprochen hatten, und die Gruppe zusammenhalten?
Will beschäftigte sich gerade zum x-ten Mal mit diesen Fragen, als er eine kaum wahrnehmbare Veränderung des Untergrunds bemerkte. Der strapaziöse, rutschige Sand schien fester zu werden und ließ sich dadurch etwas leichter begehen. Will fragte sich, woran das liegen mochte.
Das unterirdische Meer befand sich noch immer zu seiner Rechten. Hin und wieder konnte er das trübselige Schwappen einer Welle hören, doch er wusste, dass die in der Dunkelheit unsichtbare Höhlenwand zu seiner Linken nun ein beträchtliches Stück entfernt sein musste. Sie drangen immer tiefer in ein Areal vor, das Will bei seiner stundenlangen Wanderung nur kurz gestreift hatte.
Als seine Füße irgendetwas berührten, schaute er nach unten und erkannte im gedämpften Schein seiner Laterne, dass der helle Sand einem dunkleren Boden gewichen war. Plötzlich stieß er mit dem Schuh gegen etwas Festes und Unbewegliches und stolperte. Er bückte sich, um das Hindernis abzutasten, und entdeckte etwas, das sich wie der Stumpf eines gefällten Baums anfühlte. Eine Weile versuchte Will, seine Neugier zu bezwingen und einfach weiterzugehen, doch dann hielt er es nicht mehr aus, schaltete seine Lampe eine Stufe höher und richtete ihren Lichtstrahl auf den Bereich vor seinen Füßen.
Sofort stürzte Elliott auf ihn zu und baute sich drohend vor ihm auf.
»Bist du noch bei Trost?«, knurrte sie. »Schalt die Lampe runter!«
»Ich schau mich nur mal kurz um«, erwiderte er und ignorierte ihre wütend blitzenden Augen, während er den Boden studierte. Die Umgebung hatte sich deutlich verändert: Überall ragten Baumstümpfe unterschiedlicher Größe aus dem Boden; die Flächen dazwischen waren von seltsamen Pflanzen fast vollständig bedeckt, sodass sich der Sand kaum noch erkennen ließ. Will vermutete, dass es sich bei den schwarzen oder zumindest dunkelgrauen Pflanzen um Sukkulenten handelte – ihre runden, dicken Blätter wuchsen an einem zentralen Stamm und waren mit einer wächsernen Schicht überzogen.
»Salz liebende Fettpflanzen«, murmelte er und stupste mit dem Schuh gegen eine der Sukkulenten.
»Dimm das verdammte Licht«, knurrte Elliott erneut und musterte ihn finster. Im Gegensatz zu Will und den beiden anderen Jungen, die für die kleine Unterbrechung dankbar waren, schien sie kaum außer Atem zu sein.
Will schaute ihr fest in die Augen. »Ich will wissen, wohin du uns bringst«, sagte er fordernd und hielt ihrem Blick stand. »Du rennst wie eine Irre, obwohl wir drei total erledigt sind.«
Elliott reagierte nicht.
»Dann verrat uns wenigstens deinen Plan«, drängte er.
Das Mädchen spuckte knapp an Wills Knie vorbei auf den Boden. »Die Lampe!«, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und hob
Weitere Kostenlose Bücher