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Tunnel - 02 - Abgrund

Tunnel - 02 - Abgrund

Titel: Tunnel - 02 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Roderick & Williams Gordon
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Erinnerungen an ihre Familie und das Leben, das sie zurückgelassen hatte, wecken würde.
    Ohne jede Eile schlurfte sie in ihren Pantoffeln träge über den auf Hochglanz gebohnerten Linoleumboden, vorbei an Mütterchen L, die trotz ihrer sechsundzwanzig Jahre – zehn weniger als Mrs Burrows – erschreckend wenige Haare besaß. Sie hatte ihre übliche Pose eingenommen: tief und fest schlafend in einem Besuchersessel, den Mund so weit aufgesperrt, dass es den Anschein hatte, als hätte jemand versucht, ihren Schädel in zwei Hälften zu sägen. Ihr vorspringender Kehlkopf samt Mandeln war in voller Pracht zu besichtigen.
    In regelmäßigen Abständen drang ein mächtiger Luftstrom aus ihrem klaffenden Mund, begleitet von einem Geräusch, das an das Entweichen von Luft aus einem zerfetzten Lkw-Reifen erinnerte. »Eine Schande!«, empörte sich Mrs Burrows und ging dann weiter. Schließlich erreichte sie eine Tür mit einem schwarz-weißen Plastikschild, auf dem Die gute Stube stand, und drückte auf die Klinke.
    Der Raum lag an einer Ecke des Gebäudes und besaß an zwei Seiten Fenster, die auf den darunterliegenden Rosengarten hinausgingen. Irgendein schlauer Kopf unter dem Pflegepersonal war auf die grandiose Idee gekommen, die Patienten die beiden anderen Mauern mit Wandgemälden verzieren zu lassen – allerdings war das Ergebnis weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
    Ein zwei Meter breiter Regenbogen aus unterschiedlichen Brauntönen wölbte sich über einen seltsamen Haufen menschenähnlicher Gestalten. Ein Ende des Regenbogens tauchte ins Meer hinab, wo ein grinsender Mann mit weit ausgebreiteten Armen auf einem Surfbrett stand, während eine große Haifischflosse im Wasser einen Kreis um ihn beschrieb. Über dem graubraunen Regenbogen kreisten Möwen, auf die gleiche naive Art und Weise gemalt wie die restlichen Bildelemente. Auf den ersten Blick wirkten sie eigentlich ganz charmant … bis ein Betrachter die Exkremente bemerkte, die in durchbrochenen Strichellinien von ihrem Hinterteil ausgingen – so wie ein Kind eine Maschinengewehrsalve in einer Kampfszene gezeichnet hätte – und die Köpfe einer Gruppe von Leuten mit aufgeblähten Menschenkörpern und Mausgesichtern bombardierten.
    Mrs Burrows fühlte sich in diesem Raum alles andere als wohl; sie hatte den Eindruck, als würden die gebrochenen, geheimnisvollen Bilder irgendeine versteckte Botschaft übermitteln wollen. Und nicht zum ersten Mal fragte sie sich, warum ausgerechnet dieser Raum als Besucherzimmer genutzt wurde.
    Schließlich richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die unerwünschte Besucherin und starrte sie verächtlich an. Die Frau in dem unauffälligen Mantel, die einen Ordner auf dem Schoß hielt, stand sofort auf und betrachtete Mrs Burrows aus ihren sehr hellen Augen.
    »Ich bin Kate O’Leary«, sagte Sarah.
    »Das seh ich«, entgegnete Mrs Burrows und warf einen bedeutungsvollen Blick auf den Besucherausweis, der an Sarahs Pullover befestigt war.
    »Schön, Sie kennenzulernen, Mrs Burrows«, fuhr Sarah ungerührt fort und zwang sich zu einem pflichtschuldigen Lächeln, während sie der anderen Frau die Hand entgegenstreckte.
    Mrs Burrows murmelte ein »Hallo«, machte aber keine Anstalten, die Hand zu ergreifen.
    »Setzen wir uns doch«, sagte Sarah und ließ sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. Mrs Burrows warf einen Blick auf die klapprigen Plastikstühle und wählte bewusst nicht den Platz neben Sarah aus, sondern einen anderen Stuhl dicht bei der Tür, als ginge sie davon aus, jederzeit die Flucht ergreifen zu müssen.
    »Wer sind Sie?«, fragte Mrs Burrows unverblümt und musterte Sarah von Kopf bis Fuß. »Ich kenne Sie nicht.«
    »Nein, ich komme vom Sozialamt«, erwiderte Sarah und hielt kurz das Schreiben hoch, das sie auf der Fußmatte der Burrows’ gefunden hatte. Mrs Burrows legte den Kopf in den Nacken, im Versuch, den Brief zu lesen. »Wir haben Ihnen am Fünfzehnten diesen Monats geschrieben, um Ihnen dieses Treffen anzukündigen«, fuhr Sarah fort und legte den zerknitterten Papierbogen rasch auf den Aktenordner auf ihrem Schoß.
    »Mir hat keiner was von einem Treffen erzählt. Lassen Sie mich das mal sehen«, forderte Mrs Burrows und streckte eine Hand nach dem Brief aus.
    »Nein … nein, das spielt jetzt keine Rolle. Ich nehme an, die Heimleitung hat vergessen, Sie zu informieren. Das Ganze wird sowieso nicht lange dauern. Ich wollte nur sichergehen, dass alles in Ordnung ist, mit Ihnen und Ihrer

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