Tunnel - 02 - Abgrund
zunehmende Übergrund-Licht ihm Probleme bereitete, sondern weil ihm ein unerfreulicher Gedanke gekommen war.
»Dieser Burrows-Junge …«
Rebecca öffnete den Mund, um zu reagieren, schwieg dann aber, da der alte Styx fortfuhr.
»… du und deine Schwester, ihr habt gut daran getan, diese Jerome-Frau einzuspannen und zu neutralisieren. Dein Vater hielt auch nichts von unerledigten Geschäften. Ihr beide habt seinen Instinkt geerbt«, sagte der alte Styx so leise, dass man es als eine Art Zuneigungsbeweis hätte deuten können.
Doch dann nahm seine Stimme wieder ihren üblichen harten Ton an. »Wie dem auch sei: Wir haben diese Schlange in die Enge getrieben, sie aber noch nicht getötet. Will Burrows ist im Moment zwar gebändigt, aber er könnte sich für unsere Feinde zu einem Idol entwickeln, zu einer Galionsfigur. Möglicherweise werden sie ihn für ihren Widerstandskampf gegen uns und die von uns geplanten Maßnahmen einspannen. Wir können nicht länger dulden, dass er ungehindert durch das Erdinnere streift. Er muss aufgespürt und aufgehalten werden.« Der alte Styx drehte den Kopf langsam zu Rebecca, die weiterhin auf die Szenerie zu ihren Füßen starrte. »Der Junge könnte sich immer noch die Fakten zusammenreimen und unsere Pläne außer Gefecht setzen. Ich brauche dir ja nicht zu sagen, dass dies unter allen Umständen vermieden werden muss … koste es, was es wolle«, fügte er nachdrücklich hinzu.
»Das Problem wird gelöst werden«, versicherte Rebecca ihm mit unerschütterlicher Überzeugung.
»Kümmere dich darum«, sagte der alte Styx, löste die hinter dem Rücken verschränkten Arme und klatschte kurz in die Hände.
Rebecca nahm diese Geste als ihr Stichwort. »Ja«, sagte sie, »wir sollten uns an die Arbeit machen.« Ihr langer schwarzer Mantel blähte sich in der Brise auf, als sie sich zu der Styx-Truppe umdrehte, die hinter ihr schweigend wartete.
»Zeigt mir ein Exemplar«, befahl sie und schritt gebieterisch auf die schemenhaften Männer zu. Etwa fünfzig Styx hatten Stellung genommen und standen in einer perfekt ausgerichteten Reihe, aus der nun ein Styx pflichtbewusst hervortrat. Er kniete sich und schob seine behandschuhte Hand unter den Deckel eines großen Weidenkorbs zu seinen Füßen. Neben jedem der Männer standen zwei solcher Körbe, aus denen leises Gurren drang.
Der Styx holte eine schneeweiße Taube heraus, schloss den Deckel wieder und reichte Rebecca den Vogel, der mit den Flügeln zu schlagen versuchte. Doch das Mädchen nahm die Taube fest in beide Hände.
Rebecca legte den Vogel auf die Seite, um seine Beine zu inspizieren, an denen etwas befestigt war, wie bei einer Brieftaube. Allerdings handelte es sich bei der Fracht nicht um einfache Metallringe, sondern um weiße Stoffbänder, die im Licht der Sonne nun matt aufleuchteten. In jedes der Bänder waren winzige Kügelchen eingebettet, die so beschaffen waren, dass sie sich nach einigen Stunden Bestrahlung mit UV-Licht zersetzten und ihren Inhalt freigaben. Im Grunde bildete also die Sonne selbst den Zeitzünder, den Auslöser.
»Sind sie bereit?«, fragte der alte Styx, während er sich zu Rebecca gesellte.
»Ja, jede einzelne«, bestätigte ein anderer Styx vom anderen Ende des Dachs.
»Hervorragend«, sagte der alte Styx und schritt die Reihe der Männer ab, die Schulter an Schulter im fahlen Licht der Morgensonne miteinander zu verschmelzen schienen und allesamt identische schwarze Ledermäntel sowie Atemschutzgeräte trugen.
»Meine Brüder«, richtete der alte Styx nun das Wort an die Truppe. »Die Jahrhunderte des Versteckspiels sind vorbei. Es wird Zeit, uns das zu nehmen, was uns rechtmäßig zusteht.« Er schwieg einen Moment, damit seine Worte in ihr Bewusstsein dringen konnten. »Der heutige Tag wird als der erste Tag einer glorreichen neuen Epoche in unsere Geschichte eingehen. Es ist der Tag, der unsere endgültige Rückkehr an die Oberfläche markieren wird.«
Er blieb stehen und schlug sich mit der Faust in die Handfläche der anderen Hand. »In den vergangenen einhundert Jahren haben wir die Übergrundler für ihre Sünden büßen lassen, indem wir die Bazillen freisetzten, die sie als Influenzavirus bezeichnen. Da war zuerst die Seuche im Sommer des Jahres 1918.« Er stieß ein freudloses Lachen aus. »Die armen Narren bezeichneten sie als Spanische Grippe … eine Pandemie, der Millionen zum Opfer fielen. Als Nächstes lieferten wir ihnen 1957 und 1968 weitere Demonstrationen unserer
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