Turils Reise
den Gläubigen breit. Die Karantiker stampften aufgeregt durch das Savannengras, die luftigen Körper der Oroptiker drehten sich so in den Wind, dass sie möglichst rasch verschwinden konnten.
Der Lärm wurde so laut, dass Turils Ohren zu platzen drohten. Der Asteroid, im Kern zwanzig Meter groß, trieb eine Schall-und Sturmwelle vor sich her, die Bäume umknickte, eine Schneise durch die immergrüne Dschungellandschaft zog und die Savannengräser in Brand setzte. Schon hatte sie die Karantiker erreicht, fegte sie wie Spielfiguren von den Beinen, fuhr brüllend und tobend über sie hinweg …
Hatte Turil das Risiko falsch kalkuliert? Waren Wucht und Kraft des Himmelskörpers zu groß?
Nein!, flüsterte ihm der Zeremonienmantel zu. Alles läuft wie geplant.
Dennoch duckte sich der Thanatologe, bevor der Asteroid in spitzem Winkel gegen die Flanke des Götterberges prallte. Er bohrte sich in Granit und Gneis, fraß sich ins Gestein, verursachte eine alles verdunkelnde Staubwolke, die sich auf die Gläubigen herabsenkte. Turil, von der Erschütterung von den Beinen gerissen und meterweit beiseitegeschleudert, rappelte sich hoch und flüchtete sich unter einen Felsüberhang, um dem nachfolgenden Gewitter aus Staub und Steinsplittern zu entgehen. Irgendetwas erwischte ihn am rechten Arm, wurde allerdings von den Schutzmechanismen des Zeremonienmantels abgewehrt. Weitere Treffer glühender Felsstücke an der Hüfte waren zwar schmerzhaft, würden aber keinerlei Spuren hinterlassen. Die beiden ehemals vom Fleisch befreiten Finger, mittlerweile wieder passabel regeneriert, taten gehörig weh. Er
hatte sich bei seinem Sturz mit der Linken abfangen müssen.
»Was soll das!«, schrie Turil, wohl wissend, dass die GELFAR seinen emotionalen Ausbruch registrierte. »Was denkst du dir dabei?«
»Verzeih«, hörte er die leise und irgendwie fröhlich klingende Stimme der GELFAR. »Aber du bist um fast einen Meter vom vorherbestimmten Platz abgewichen. Hast du nicht auf deine Markierung geachtet?«
Natürlich hatte er. Turil war punktgenau auf dem ultravioletten Symbol gestanden, in dem Bewusstsein, dass die Schiffssphäre einen winzigen Schutzkordon um ihn ziehen würde. Doch die Markierung war mit der Explosion verweht. Er würde dem Schiff, das wieder einmal schmutzige Spielchen spielte, nichts nachweisen können.
»Dich hat ein Ausläufer des Luftbugs erwischt«, fuhr die GELFAR fort. »Du bist nur geringfügig verletzt, wie mir dein Zeremonienmantel mitteilt. Was dein Erregungspotenzial betrifft, müssen wir allerdings etwas unternehmen. Licht und Schatten werden dich in den Kliniken von Friedenshof Grau zu einer genaueren Untersuchung anmelden …«
»Nein!«, presste Turil zwischen den Zahnleisten hervor. »Du weißt, dass ich die Entscheidung treffe, wenn es um deine Gesundheit geht.« Tiefe Befriedigung war in der Stimme der GELFAR zu vernehmen. »Ich informiere Pschoim schon mal vorsorglich. Er wird sich freuen, von dir zu hören.«
Mühsam verdrängte Turil alle Gedanken an den Vater, an das Große Thang und an mögliche Untersuchungen, die ihm bevorstanden. Er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, wollte er seinen Auftrag den Bestimmungen
gemäß zu Ende bringen. Mit dem kalkulierten Absturz des Asteroiden war er ein hohes Risiko eingegangen; doch dieses - vermeintliche - Naturschauspiel musste realistisch wirken, wollte er, dass es sich für alle Zeiten ins Gedächtnis seiner Zuschauer einbrannte.
Nachdem der Steinhagel nachgelassen hatte, widmete er sich seinen Messinstrumenten. Der brennende Fels war im genau vorausberechneten Winkel aufgeprallt, inmitten des gewünschten Schutzkorridors, dessen starke Felder die Begleiterscheinungen der Kollision des Himmelskörpers mit dem Götterberg gezielt eindämmten. Nur so war gewährleistet, dass das Publikum keine ernsthaften Verletzungen erlitt - und dennoch die Wucht und Gewalt möglichst hautnah zu spüren bekam. Insofern hatte die GELFAR ausgezeichnete Arbeit geleistet.
Turil wagte sich so weit wie möglich zur Abbruchkante der Götterebene vor. Ein riesiger roter Fleck glühte in der Flanke des Berges, darüber hatte sich starker Rauch gebildet. Gewaltige Hitze ging davon aus; sie war selbst über eine Entfernung von fast tausend Metern spürbar. Mit Hilfe grobkörniger Infrarotaufnahmen vergewisserte sich der Totengräber, dass der Aufprall punktgenau und auf halber Höhe des Bergmassivs erfolgt war. Letzte Gerölllawinen gingen ab, begleitet von
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