Turm der Hexer
Das Gesicht des alten Mannes war finster. »Als ich ihn das nächste Mal sah, war er bei weitem nicht mehr so schön«, fuhr er mit grimmiger Befriedigung fort. »Das war, nachdem das Auge ihn verbrannt und er angefangen hatte, eine Stahlmaske zu tragen, um die Entstellung seines Gesichts zu verbergen.«
Silk war näher gekommen und ritt jetzt neben ihnen, gefesselt von Belgaraths Geschichte. »Was habt ihr dann gemacht? Nachdem Torak das Auge gestohlen hatte, meine ich?«
»Unser Meister hat uns ausgeschickt, die anderen Götter zu warnen«, erwiderte Belgarath. »Ich sollte Belar finden er war irgendwo im Norden und zechte mit seinen Alornern. Belar war damals ein junger Gott, und er liebte die Vergnügen der Jugend. Alornische Mädchen pflegten davon zu träumen, daß er zu ihnen kam, und er bemühte sich, so viele Träume in Erfüllung gehen zu lassen, wie er konnte jedenfalls wurde es mir so erzählt.«
»Das habe ich noch nie über ihn gehört«, sagte Silk verblüfft.
»Vielleicht ist es ja auch nur Klatsch«, gab Belgarath zu.
»Hast du ihn gefunden?« fragte Garion.
»Es hat eine Weile gedauert. Damals sah das Land noch anders aus. Was jetzt Algarien ist, erstreckte sich weit nach Osten Tausende von Meilen offenes Grasland. Zuerst habe ich die Gestalt eines Adlers angenommen, aber das war nicht sehr gut.«
»Klingt doch sehr brauchbar«, meinte Silk.
»Höhen machen mich schwindlig«, erwiderte der alte Mann, »und meine Augen wurden ständig von irgend etwas auf dem Boden abgelenkt. Ich hatte dauernd diesen überwältigenden Drang, hinabzustoßen und etwas zu töten. Der Charakter der Gestalt, die wir annehmen, beginnt nach einer Weile, unser Denken zu bestimmen, und der Adler ist zwar ein prachtvoller, aber doch recht dummer Vogel. Schließlich gab ich es auf und wählte statt dessen die Form eines Wolfes. Das ging viel besser. Die einzige Ablenkung, der ich begegnete, war eine junge, lebenslustige Wölfin.« Bei diesen Worten verengten sich seine Augen, und ein eigenartiger Ton lag in seiner Stimme.
»Belgarath!« rief Silk schockiert.
»Zieh keine voreiligen Schlüsse, Silk. Ich habe mir die moralische Seite der Lage überlegt. Ich erkannte, daß Vater sein schön und gut sein mochte, aber daß ein Wurf Welpen später etwas hinderlich sein würde. Ich widerstand ihren Annäherungsversuchen, obwohl sie mich hartnäckig nach Norden verfolgte, wo der Bärengott mit seinen Alornern weilte.« Er brach ab und blickte auf das graugrüne Moor hinaus, mit undurchdringlicher Miene. Garion wußte, daß es da noch etwas gab, das der alte Mann nicht erzählte, und zwar etwas Wichtiges.
»Jedenfalls«, fuhr Belgarath fort, »begleitete Belar uns zurück zum Tal, wo sich die anderen Götter versammelt hatten, und sie berieten sich und beschlossen, daß sie Krieg gegen Torak und seine Angarakaner fahren mußten. Damit fing alles an. Seitdem ist die Welt nicht mehr dieselbe.«
»Was ist mit der Wölfin geschehen?« fragte Garion, der das seltsame Ausweichen seines Großvaters nicht auf sich beruhen lassen wollte.
»Sie blieb bei mir«, antwortete Belgarath ruhig. »Sie pflegte tagelang in meinem Turm zu sitzen und mich zu beobachten. Sie hatte einen seltsamen Verstand, und ihre Kommentare waren oft etwas verwirrend.«
»Kommentare?« fragte Silk. »Sie konnte sprechen?«
»In der Art der Wölfe, mußt du verstehen. Ich hatte während unserer gemeinsamen Reise ihre Sprache gelernt. Es ist eine knappe und oft sehr schöne Sprache. Wölfe können beredt, sogar poetisch sein wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, daß sie ohne Worte sprechen.«
»Wie lange ist sie bei dir geblieben?« fragte Garion.
»Ziemlich lange«, antwortete Belgarath. »Ich erinnere mich, daß ich sie einmal danach fragte. Sie antwortete mit einer Gegenfrage. Das war eine ihrer aufreizenden Gewohnheiten. Sie sagte einfach: ›Was bedeutet Zeit für einen Wolf?‹ Ich stellte ein paar Berechnungen an und fand heraus, daß sie schon über tausend Jahre bei mir war. Ich war etwas erstaunt darüber, aber ihr schien es gleichgültig zu sein. ›Wölfe leben so lange, wie sie wollen, war alles, was sie darauf sagte. Dann mußte ich eines Tages aus irgendeinem Grund meine Gestalt verändern ich habe vergessen, weshalb. Sie sah mir zu, und danach war die Ruhe für mich ein für allemal vorbei. Sie sagte nur: ›Ach, so machst du das‹, und verwandelte sich prompt in eine weiße Eule. Es schien ihr großen Spaß zu machen, mich zu
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