Turm der Hexer
Garion erblickte, wurden seine Augen groß, doch er beugte den Kopf rasch wieder über seine Arbeit. Als sie schon im Aufbruch begriffen waren und wieder vorn im Laden standen, bat Garion, noch einmal einen Blick auf den zarten Glasvogel werfen zu dürfen, der auf seinem funkelnden Zweig hockte. Das Stück war so schön, daß ihm das Herz höher schlug.
»Gefällt es Eurer Majestät?« Es war der junge Lehrling, der leise aus der Werkstatt herangekommen war. Er sprach mit sanfter Stimme.
»Ich war gestern auf dem Platz, als Brand Euch dem Volk vorgestellt hat«, erklärte er. »Ich habe Euch sofort erkannt, als Ihr hereinkamt.«
»Wie heißt du?« fragte Garion neugierig.
»Joran, Eure Majestät«, antwortete der Lehrling.
»Meinst du nicht, daß wir die ›Majestät‹ lassen können?« fragte Garion wehmütig. »Mir ist bei all dem noch nicht ganz wohl. Es kam sehr überraschend für mich.«
Joran grinste ihn an. »In der Stadt gehen alle möglichen Gerüchte um. Es heißt, du wurdest von Belgarath dem Zauberer in Aldurs Tal aufgezogen.«
»Tatsächlich wurde ich in Sendarien von meiner Tante Pol aufgezogen, der Tochter Belgaraths.«
»Polgara, die Zauberin?« Joran war beeindruckt. »Ist sie wirklich so schön, wie es heißt?«
»Ich habe das immer so empfunden.«
»Kann sie sich tatsächlich in einen Drachen verwandeln?«
»Könnte sie vermutlich, wenn sie wollte«, sagte Garion, »aber sie bevorzugt die Gestalt einer Eule. Sie liebt Vögel, und die Vögel werden bei ihrem Anblick rein närrisch. Sie sprechen immer mit ihr.«
»Großartig«, sagte Joran bewundernd. »Ich würde alles geben, um sie kennenzulernen.« Er spitzte nachdenklich die Lippen und zögerte einen Moment. »Glaubst du, ihr würde das kleine Ding gefallen?« platzte er schließlich heraus, auf den gläsernen Zaunkönig deutend.
»Gefallen?« fragte Garion. »Sie würde es lieben.«
»Würdest du es ihr von mir geben?«
»Joran!« Garion war entsetzt bei diesem Gedanken. »Ich kann es nicht nehmen. Es ist viel zu wertvoll, und ich habe kein Geld, es dir zu bezahlen.«
Joran lächelte scheu. »Es ist nur Glas«, erklärte er, »und Glas ist nur geschmolzener Sand und Sand ist das billigste auf der Welt. Wenn du glaubst, daß es ihr gefällt, hätte ich wirklich gern, daß sie es bekommt. Gibst du es ihr von mir, bitte? Sag ihr, es ist ein Geschenk von Joran dem Glasbläser.«
»Das werde ich, Joran«, versprach Garion und ergriff impulsiv die Hand des jungen Mannes. »Ich werde stolz sein, es ihr in deinem Namen zu geben.«
»Dann werde ich es einwickeln«, sagte Joran. »Es tut Glas nicht gut, aus einem warmen Raum in die Kälte zu kommen.« Er griff nach dem Stück Samt, hielt dann aber inne. »Ich bin nicht ganz ehrlich gewesen«, gestand er etwas schuldbewußt. »Der Zaunkönig ist eine sehr gute Arbeit, und wenn ihn die Edelleute oben in der Zitadelle sehen, wollen sie vielleicht, daß ich für sie auch etwas anfertige. Ich brauche Aufträge, wenn ich mich je selbständig machen will, und…« Er warf einen Blick auf Torgans Tochter, und in diesem Blick lag sein ganzes Herz.
»Und du kannst nicht heiraten, ehe du dich nicht selbständig gemacht hast?« vermutete Garion.
»Eure Majestät wird ein sehr weiser König sein«, sagte Joran ernst.
»Wenn ich die ganzen Schnitzer überlebe, die ich in den ersten Wochen machen werde«, fügte Garion trübsinnig hinzu.
Am späten Nachmittag brachte er Tante Pol den Glasvogel.
»Was ist das?« fragte sie, als sie das Päckchen entgegennahm.
»Ein Geschenk für dich von einem jungen Glasbläser, den ich unten in der Stadt kennengelernt habe«, antwortete Garion.
»Er bestand darauf, daß ich es dir gebe. Er heißt Joran. Sei vorsichtig. Es ist zerbrechlich.«
Tante Pol wickelte behutsam das Glas aus. Ihre Augen wurden groß, als sie den wunderschön gefertigten Vogel betrachtete. »Oh, Garion«, murmelte sie, »es ist das Schönste, was ich je gesehen habe.«
»Er ist wirklich gut«, erzählte Garion. »Er arbeitet für einen Glasbläser namens Torgan, und Torgan sagt, er ist ein Genie. Er möchte dich kennenlernen.«
»Und ich möchte ihn kennenlernen«, hauchte sie. Ihr Blick verlor sich in den Feinheiten des Glasfigürchens. Dann stellte sie den kristallenen Zaunkönig behutsam auf den Tisch. Ihre Hände zitterten, und ihre Augen standen voller Tränen.
»Was ist, Tante Pol?« fragte Garion beunruhigt.
»Nichts, Garion«, antwortete sie. »Gar nichts.«
»Warum weinst
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