Turm der Hexer
wahrscheinlich schon ein Dutzend saß und ein bißchen harmlosen Palastklatsch weitergegeben? Es war doch harmlos, oder?«
»Ich habe keine Staatsgeheimnisse ausgeplaudert, Polgara, wenn du das meinst«, sagte die Königin steif.
»Dann hat Grodeg eigentlich nichts gegen dich in der Hand, Islena.«
»Was soll ich tun, Polgara?« fragte die Königin gequält.
»Geh zu Anheg. Sag ihm alles.«
»Das kann ich nicht.«
»Du mußt. Sonst wird Grodeg dich zu noch Schlimmerem zwingen. Tatsächlich könnte man die Situation zu Anhegs Vorteil wenden. Erzähl mir genau, wieviel du über die Pläne des Kults weißt.«
»Unter anderem haben sie begonnen, Ortsgruppen unter den Bauern zu gründen.«
»Das haben sie noch nie getan«, überlegte Tante Pol.
»Der Kult hat sich immer auf den Adel und die Priesterschaft beschränkt.«
»Ich weiß es nicht sicher«, fuhr Islena fort, »aber ich glaube, sie bereiten eine große Sache vor eine Art Auseinandersetzung.«
»Das werde ich meinem Vater erzählen«, sagte Tante Pol. »Ich nehme an, daß er Schritte unternehmen wird. Solange der Kult das Spielzeug der Priesterschaft und des niederen Adels war, hatte er keine so große Bedeutung, aber die Bauern aufzustacheln ist etwas anderes.«
»Ich habe noch andere Dinge gehört«, erzählte Islena weiter. »Ich glaube, sie versuchen, Rhodars Geheimdienst zu unterwandern. Wenn sie ein paar Leute an den richtigen Stellen im Palast von Boktor haben, werden sie Zugang zu fast allen Staatsgeheimnissen des Westens haben.«
»Ich verstehe.« Tante Pols Stimme war kalt wie Eis.
»Ich habe Grodeg einmal sprechen hören«, sagte Islena voller Abscheu. »Das war, bevor er herausfand, daß ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Er hat die Auguren und die Himmelszeichen gelesen und sprach von der Rückkehr des Rivanischen Königs. Der Kult nimmt den Begriff ›Großkönig des Westens‹ sehr ernst. Ich glaube ernsthaft, ihr letztendliches Ziel ist es, Belgarion zum Kaiser über den gesamten Westen zu machen über Aloria, Sendarien, Arendien, Tolnedra und selbst Nyissa.«
»So war der Begriff nicht gemeint«, warf Tante Pol ein.
»Ich weiß«, antwortete Islena, »aber Grodeg wird ihn so lange hin- und herdrehen, bis er so lautet. Er ist ein absoluter Fanatiker, und er will alle Völker des Westens zu Belar bekehren wenn nötig, mit dem Schwert.«
»Dieser Idiot!« schimpfte Tante Pol. »Wenn er das versucht, verursacht er einen Krieg im Westen und löst sogar Streit unter den Göttern aus. Was ist nur los mit den Alornern, immer wollen sie sich nach Süden ausdehnen? Ich glaube, es ist Zeit, daß jemand Grodeg Einhalt gebietet, und zwar entschieden. Geh sofort zu Anheg. Erzähle ihm alles und dann sag ihm, daß ich ihn sehen will. Ich könnte mir denken, daß auch mein Vater diese Angelegenheit mit ihm besprechen will.«
»Anheg wird wütend auf mich sein, Polgara«, stammelte Islena.
»Das glaube ich nicht«, beruhigte Tante Pol sie. »Sobald er erkennt, daß du Grodegs Plan enthüllt hast, wird er vermutlich sogar dankbar sein. Laß ihn in dem Glauben, daß du nur noch Verbindung mit Grodeg hattest, um einige Informationen zu bekommen. Das ist ein sehr achtbares Motiv und etwas, das eine gute Ehefrau tun würde.«
»Daran hatte ich nicht gedacht«, sagte Islena schon etwas sicherer.
»Es wäre auch eine tapfere Tat gewesen, nicht wahr?«
»Einfach heldenhaft, Islena«, erwiderte Tante Pol. »Geh jetzt zu Anheg.«
»Das werde ich, Polgara.« Man hörte schnelle, entschlossene Schritte, dann wurde eine Tür geschlossen.
»Garion, komm wieder her.« Tante Pols Stimme klang streng. Er öffnete die Tür.
»Du hast gelauscht?« Es war eigentlich keine Frage.
»Nun…«
»Darüber müssen wir uns noch unterhalten. Aber diesmal spielt es keine große Rolle. Geh und suche deinen Großvater. Sage ihm, daß ich ihn unverzüglich sprechen muß. Es ist mir gleich, was er gerade tut. Bring ihn sofort zu mir.«
»Aber woher wissen wir, ob er etwas ausrichten kann?« fragte Garion. »Ich meine, wenn er seine Macht verloren hat…«
»Es gibt viele Arten von Macht, Garion. Zauberei ist nur eine davon. Geh jetzt und hole ihn her.«
»Jawohl, Tante Pol«, antwortete Garion, schon auf dem Weg zur Tür.
16
D er Hohepriester von Belar war ein eindrucksvoller Mann von annähernd zwei Metern Größe. Er trug einen langen grauen Bart, und seine Augen lagen unter buschigen schwarzen Brauen tief in ihren Höhlen. Eine Woche nachdem die
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