Turm der Lügen
gegen seines tauschte. Philippes Sohn. Die Hoffnung des Königreiches. Ihr Vermächtnis.
»Jeanne.« Séverine beugte sich, ein Bündel in den Armen, zu ihr herab. »Sieh nur, wie winzig sie ist. Wie vollkommen. Du hast einer wunderschönen kleinen Prinzessin das Leben geschenkt.«
Jeanne schloss die Augen.
Sie hatte versagt, wieder einmal ihre Pflicht nicht erfüllt.
»Willkommen in der Welt der unerwünschten Töchter.«
Séverine drückte das Neugeborene eng an sich.
Jeanne hörte weder Séverines Stimme, noch bemerkte sie die eigenen Tränen.
* * *
»Unser Onkel Valois schwört auf die Prognosen des Hofastrologen, der die Genesung des Königs vorausgesagt hat. Auch das Kollegium der Ärzte verbreitet Hoffnung. Man nimmt an, es sei nur eine Frage von Tagen bis zur endgültigen Genesung des Königs. Dennoch sagt mir mein Gefühl, dass es so einfach nicht sein kann. Hast du bemerkt, dass er immer öfter nach Worten sucht? Dass ihm die Namen seiner Ratgeber entfallen?«
Philippe ging, im Gespräch mit Adrien, mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf und ab. Sie befanden sich in der Residenz von Fontainebleau, in der sein Vater zur Welt gekommen war. Er konnte nicht nachvollziehen, warum der König ausgerechnet hier gesund werden wollte. Das Unbehagen, das er an diesem 28 . November des Jahres 1314 empfand, schob Philippe auf die düsteren Räume und die allgegenwärtige Feuchtigkeit des Gemäuers. Außerdem hatte es den ganzen Tag geschneit.
»Immerhin geht er vom Alkoven aus wieder den Staatsgeschäften nach«, warf Adrien ein, der an seiner Seite geblieben war, nachdem der große Rat sich aufgelöst hatte. »Seit Louis aus Provins zurück ist, herrscht ein lebhaftes Kommen und Gehen in seinem Schlafgemach.«
»Sie versuchen, Einfluss auf ihn zu nehmen«, entgegnete Philippe unzufrieden. »Sie denken, krank und schwach sei er ihren Argumenten eher zugänglich.«
»Man nennt ihn nicht ohne Grund auch den eisernen König«, erinnerte Adrien. »Nicht einmal krank und schwach lässt er sich von seinen Zielen abbringen.«
»Hoffen wir, dass du recht hast. Louis ruft zur Gewalt gegen die rebellierenden Adeligen auf. In Anbetracht der Missernten brauchen wir mehr denn je Frieden im Land, damit Handwerk und Landwirtschaft sich wieder erholen können. Hungernde zahlen der Krone keine Steuern.«
Da er keine Antwort erhielt, drehte er sich fragend zu Adrien um. Sein Freund lauschte mit abwesendem Blick auf ferne Geräusche.
»Was ist …«
Jetzt hörte er es selbst. Schritte. Rufe. Ungewohnte Aufregung.
»Der König! Er wollte aufstehen und ist gestürzt. Er hat das Bewusstsein verloren!« Charles riss die Tür auf, trat aber nicht ein. »Louis hat nach den Ärzten geschickt, nach den Priestern. Es sieht ganz so aus, als ginge es zu Ende mit Vater.«
Philippe rannte los, ehe Charles den Mund geschlossen hatte. Adrien folgte den Brüdern.
Mit geschlossenen Augen, bleich wie das Leinen des Kissens, lag Philippe der Schöne völlig reglos zwischen den Säulen seines Prunkbettes. Weder das aufgeregte Gemurmel der Ärzte noch das Eintreffen seiner Söhne und des übrigen Hofes drang zu ihm durch. Sein Beichtvater kniete, ins Gebet versunken, auf den Stufen des Alkovens. Der Hofstaat füllte den Raum.
Der Thronfolger drängte sich rücksichtslos durch und beugte sich prüfend über seinen Vater. Ob Louis ebenso erschüttert war wie Philippe, war ihm nicht anzumerken. Er riss unverzüglich die Befehlsgewalt an sich. Die versammelten Ärzte duckten sich unter seinem beißenden Ton.
»Redet! Was fehlt dem König?«, bellte er. »Vor einer Stunde noch war alles in Ordnung. Was ist von diesem neuerlichen Zusammenbruch zu halten?«
»Er wollte gegen unsere Anweisung das Bett verlassen, königliche Hoheit. Offensichtlich hat ihn dabei ein Schwindel übermannt und den Sturz verursacht«, erläuterte der königliche Leibarzt vorsichtig. »Wir haben seine Majestät ausdrücklich vor überhasteten Bewegungen gewarnt. Er klagte seit heute Morgen über zunehmendes Dröhnen unter der Schädeldecke. Wir hatten einen Aderlass vorgenommen, um den Druck des Blutes zu lindern. Normalerweise kann man damit das Gleichgewicht der Körpersäfte wiederherstellen.«
»Wollt Ihr damit sagen, er hat erneut einen Schlagfluss erlitten?«
Philippe wusste, dass das Kollegium der Mediziner auch bei dem Sturz auf der Jagd von einem Schlagfluss ausging.
»In der Tat«, bestätigte der Leibarzt. »Das ist nicht auszuschließen,
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