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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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tot. Tot, Jeanne. Am Lungenfieber gestorben. Alle Kunst der besten Ärzte des Königreiches konnte ihn nicht retten. Wir haben ihn in Saint Denis bei seinen königlichen Vorfahren zur Ruhe gebettet. Mein schöner Sohn, die Hoffnung meines Alters und meiner Provinzen. Nur siebzehn Jahre waren ihm gegönnt, ehe Gott ihn in der Blüte seiner Jugend zu sich rief.«
    In ihrer Stimme schwang, den pompösen Worten zum Trotz, echter Schmerz. Jeanne umarmte ihre Mutter spontan. Nie zuvor hatte sie das Bedürfnis gehabt, die starke, ehrgeizige, machthungrige Frau zu trösten. Von Mutter zu Mutter konnte sie jedoch das Leid nachempfinden, das sie zerriss.
    Tränen traten auch ihr in die Augen. Robert war ein so sanftmütiger Bruder gewesen. Auf seine Art war es ihm sogar gelungen, sich gegen Mahaut zu behaupten. Er wäre wie kaum ein anderer würdig gewesen, neben dem Wappen der Pfalzgrafschaft von Burgund auch jenes des Artois zu führen. Die goldenen Lilien auf azurblauem Grund, unter den drei goldenen Burgen des Turnierkragens, hätten dem Blond seiner Locken geschmeichelt.
    »Meine armen Kinder vernichtet, meine treuen Gefährten gestorben«, weinte Mahaut. »Nur du bist mir geblieben, Jeanne. Du und die bedauernswerte, törichte Blanche, die in Château Gaillard ihrem Ende entgegendämmert. Wie übel mir das Schicksal doch mitspielt.«
    Erneut heischte der Sergeant um Jeannes Aufmerksamkeit. Er wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, der schwere Vorwürfe von Hauptmann Montgeron nach sich ziehen würde.
    »Eure Mutter handelt nicht nur nicht im Auftrag des Königs, sondern ausdrücklich gegen seine Befehle «, wandte er sich an sie. »Ich kann sie jedoch nicht aufhalten. Die Besatzung der Burg ist zu schwach, um gegen ihre Männer zu bestehen.«
    »Da seid Ihr ja!«
    Séverine kam gleich einem Pfeil durch die Tür geschossen. Ihre Augen sprühten Blitze. Sie ging auf den Sergeanten los, zielgerichtet und ohne sich von irgendetwas ablenken zu lassen.
    »Habt Ihr meiner Herrin gestanden, dass Ihr die Grobiane nicht zurückgehalten habt, die Julien überfallen und verletzt haben? Weiß sie, dass Ihr es zugelassen habt, dass die Ziege geschlachtet wurde? Was seid ihr nur für Unmenschen, dass ihr um eines knurrenden Magens willen ein unschuldiges Kind zum Tode verurteilt? Oder könnt Ihr mir sagen, woher wir jetzt Milch für die Kleine nehmen sollen?«
    Séverine war außer sich. Die Haare fielen ihr wild ins Gesicht. Sie glühte vor Zorn, forderte Antworten.
    Der Sergeant suchte nach Worten.
    Mahaut stand wie erstarrt.
    Jeanne zitterten die Knie. Sie umklammerte die Kanten des Weidenkorbes.
    Séverine verlor die Geduld mit Montgerons Stellvertreter. Sie ging auf den Korb zu, hob Blanche hoch, die kräftig anfing zu schreien, und überstimmte sie mühelos: »Los, tötet sie! Ermannt Euch! Erspart der Todgeweihten das tagelange Leid des Hungertodes! Es macht Euch bestimmt weniger Mühe, als eine Ziege zu schlachten.«
    »Bist du verrückt?« Jeanne warf sich dazwischen und riss ihre Tochter beschützend an sich. »Hast du den Verstand verloren?«
    Mahaut trat ächzend einen Schritt vor. Séverine nahm sie erst jetzt wahr.
    »Ich nehme an, Ihr seid die geheimnisvolle Gesellschaft, die die Verbannung meiner Tochter teilt. Philippe hat Euch als tüchtig und klug geschildert. Habt Ihr auch einen Namen, Demoiselle? Philippe hat ihn mir nicht genannt.«
    Jeanne bemerkte das trockene Schlucken Séverines. Eine beklommene Stille breitete sich aus.
    Schließlich war es Mahaut, die den Bann brach. Sie schickte den Sergeanten mit einem herrischen Befehl aus dem Turmgemach.
    »Sagt meinem Hauptmann, dass er sich zum Abmarsch bereit machen soll. Und falls Ihr beabsichtigt, einen Boten nach Paris zu schicken, um meinen Übergriff zu melden, so vergesst nicht, dem König das Ausmaß meiner Empörung mitteilen zu lassen, mit dem ich die Umstände zur Kenntnis genommen habe, unter denen eine Unschuldige und ihr Kind hier, von der Welt und ihrer Familie abgeschottet, leben müssen.«
    Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür, die der Kommandant hinter sich geschlossen hatte, und wandte sich Jeanne und Séverine zu. Ihre Blicke gingen mehrmals von einer zur anderen. Jeanne beobachtete, wie sich ihre herrischen Züge wandelten. Sie wirkte einen Augenblick ungläubig, kämpfte erkennbar um Fassung. Die Ähnlichkeit der beiden erzählte ihr offensichtlich eine erschütternde Geschichte, worauf das Mienenspiel abermals blitzschnell

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