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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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hungern, nicht nur Dourdan. Adrien wird uns Hilfe schicken, sobald es möglich ist.«
    Je länger Jeanne sich mit Séverine unterhielt, desto mehr spürte sie ihre Mutlosigkeit. Sie nahm ihr die Näharbeit aus der Hand, die sie wieder aufgenommen hatte, und gab ihr einen sanften Stoß.
    »Lass mich das machen. Leg dich in den Alkoven und schließ die Augen. Du musst unendlich müde sein. Ruh dich aus. Du hilfst niemandem, wenn du auch noch krank wirst, das weißt du.«
    Dass Séverine ohne Widerspruch gehorchte, erschreckte sie mehr als alle Worte. Wieso hatte sie nicht bemerkt, in welchem Zustand sie sich befand? Es war an der Zeit, sich einmal um sie zu kümmern.
    Jeanne straffte den Rücken. Zum ersten Mal, seit sie im Turm von Dourdan lebte, wollte sie wieder kämpfen. Für sich, ihre Kinder, ihren Mann, ihre Schwester Séverine. Nie wieder würde sie sich so entmutigen lassen und anderen ihre eigene Last aufbürden. Jeanne klammerte sich an diesen Schwur, wie eine Ertrinkende an ein rettendes Seil.
    Sogar Blanche schien die Veränderung in den nächsten Tagen zu spüren. Sie schrie weniger. Sie umfasste mit beiden Händen das Horn und saugte aus voller Kraft, sobald sie ihre Milch bekam. Ihre Bewegungen wurden sicherer. Manche ihrer Grimassen konnte man sogar für ein erstes Lächeln halten. Obwohl sie kaum zugenommen hatte, wurde ihre Gesichtshaut glatter und ebenmäßiger unter den spinnwebfeinen blonden Locken.
    Blanche zu beobachten wurde Jeanne zur liebsten Gewohnheit. Sie tat es auch in diesem Augenblick, als sie darauf wartete, dass Séverine zurückkam. Sie war bei der Ziege, um sie mit eigenen Händen zu melken.
    Ganz in das stumme Zwiegespräch mit dem Kind versunken, überhörte sie die energischen Tritte auf den Steinstufen. Das konnte nicht Séverine sein. Die Tür zum Turmgemach wurde abrupt aufgerissen.
    Mahaut, ein Koloss in schwarzen Tüchern und Pelzen, rauschte über die Schwelle, gefolgt von einem Sergeanten der Burgwache. Er versuchte vergeblich, sie aufzuhalten.
    »Madame … Gräfin … Ihr könnt nicht …«
    »Spart Euch die Luft, guter Mann«, wies sie ihn barsch ab. Dann ging sie auf Jeanne zu. »Meine kleine Jeanne. Lass dich in die Arme schließen.«
    Jeanne rang nach Atem, erstickt von der Stofffülle und der heftigen Umarmung, die ihr die Luft nahm.
    »Mutter – lieber Gott, wie seid Ihr in die Burg gekommen? Was ist geschehen?«, stotterte sie, als sie freigegeben wurde.
    »Ein Dutzend Ritter und doppelt so viele Kriegsknechte in meiner Begleitung besitzen eine Menge Überzeugungskraft«, antwortete Mahaut knapp. »Ich bin gekommen, dich nach Hause zu holen.«
    »Der König begnadigt mich?«
    »Früher oder später muss er wohl. Er kann das Urteil des Parlamentes nicht ewig ignorieren. Solange er es jedoch tut, findest du auf unserer Burg in Gray mehr Sicherheit als in Dourdan.«
    »Ihr gebt an, im Auftrag seiner Majestät zu handeln«, mischte sich der Sergeant ein, in Vertretung Montgerons, der ebenfalls mit Fieber niederlag. »Zeigt mir Eure Befehle.«
    »Ihr könnt sie Euch in Paris holen, guter Mann«, erwiderte Mahaut herablassend. »Da Ihr uns freundlicherweise schon beim Anblick der königlichen Standarte das Tor geöffnet habt, seid Ihr nun überflüssig. Beruhigt Euch. Wir werden Eure Gastfreundschaft nicht in Anspruch nehmen.«
    Die rauhe Stimme Mahauts brachte Blanche zum Weinen.
    Mahauts Augen verengten sich, und sie ging geradewegs auf den Korb zu. Jeanne wappnete sich innerlich gegen ihren ätzenden Kommentar. Eine vierte Tochter, etwas anderes als harsche Kritik würde sie dafür nicht ernten.
    »Welch ein süßer Engel«, vernahm sie Mahaut zu ihrer unendlichen Verblüffung. »Wie hast du sie genannt?«
    »Blanche.«
    Eine weitere Frage des Kommandanten ging in einer spontan aufbrechenden Tränenflut von Mahaut unter. Jeanne kannte ihre Mutter und wartete, im Gegensatz zu dem peinlich berührten Sergeanten, in aller Ruhe ab.
    Doch Mahaut beruhigte sich nicht. Im Gegenteil.
    »Meine Kinder«, jammerte sie. »Meine armen Kinder. Was habe ich verbrochen, dass mir der Himmel solches Leid antut? Meine schöne Blanche, ein arme, verwirrte Büßerin. Mein prachtvoller Sohn, gestorben, ehe er all die heldenhaften Taten ausführen konnte, die sein nobler Charakter versprach.«
    Da die Worte immer wieder von heftigem Schluchzen unterbrochen wurden, begriff Jeanne erst nach und nach ihren Sinn. »Sprecht Ihr von Robert, Mutter? Was ist mit unserem Bruder?«
    »Er ist

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