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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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wechselte. Sie hatte sich wieder im Griff.
    »Wer bist du, Mädchen?«
    »Séverine Gasnay.«
    »Woher kommst du?«
    »Was fragt Ihr mich? Ihr wisst es.«
    »Ich will es aber von dir hören.«
    »Aus Faucheville.«
    »Und?«
    »Was bitte wollt Ihr hören, was Ihr nicht längst wisst? Die Flavys haben mich dort aufgezogen. Ihr habt mich doch dem Baron anvertraut und mich aus Eurem Leben gestrichen, es war allein Euer Wunsch und Wille. Warum zeigt Ihr Euch überrascht, mich zu sehen? Dachtet oder hofftet Ihr, sie würden mich nicht überleben lassen, mich aus der Welt schaffen, mich umbringen lassen? Oder welches Schicksal habt Ihr Euch für mich gewünscht? Mutter!«
    Die Worte mussten Mahaut in ihrer ganzen Härte treffen. Sie verbarg kurz das Gesicht in den Händen. Als sie sie wieder senkte, suchte sie Séverines Blick ohne Scham. Trotz ihres Alters war sie immer noch eine Meisterin in der Hinnahme von Prüfungen jeder Art.
    »Séverine, die Unerbittliche. Du trägst den Namen zu Recht. Wer hat ihn dir gegeben?« Ohne die gewohnte Schroffheit in der Stimme stellte Mahaut ihre Frage.
    »Ich weiß es nicht. Niemand hat sich je die Mühe gemacht, mir etwas zu erklären.«
    Der stumme Blickwechsel zwischen Mutter und Tochter war unergründlich. Auch Jeanne konnte nicht ahnen, was in beiden vorging. Séverines Blick war kalt. Der Blick der Mutter war forschend.
    Völlig unerwartet trat Mahaut auf Séverine zu und nahm sie in die Arme.
    »Meine Tochter. Du musst mir verzeihen. Ich bereue, was ich dir angetan habe«, vernahmen beide Schwestern erstaunt ihre Bitte.
    Sie bereute? Bat um Verzeihung? Séverine löste sich aus der Umarmung. Nicht grob, aber doch bestimmt. Weder Nähe noch Versöhnung ließ sie sich aufzwingen.
    Mahaut machte keinen Versuch, sie festzuhalten. Für sie waren die Entschuldigungen damit abgetan. Sie verstand, weshalb ihr Schwiegersohn beide Frauen in Sicherheit sehen wollte, und ausnahmsweise deckten sich ihre Wünsche in diesem Fall mit den seinen.
    »Philippe, dieses Schlitzohr, wusste natürlich alles über Séverine und hat kein Sterbenswort zu mir gesagt«, murmelte sie ebenso verärgert wie anerkennend.
    Jeanne sah erstaunt auf. »Heißt das, Philippe weiß auch, dass du in Dourdan bist?«
    Mahaut nickte. »Wie schon gesagt, der
cours de pairs
hat dich freigesprochen, weil keine Beweise vorliegen, die eine Anklage gegen dich rechtfertigen. Da Louis dennoch keine Anstalten machte, deine Verbannung aufzuheben, sahen wir keinen anderen Weg. Der Zänker zürnt mir ohnehin. Ich kann mich in Paris zurzeit nicht sehen lassen, also beschlossen wir, dass ich dich auf dem Heimweg in meine Provinzen mitnehme. Du wirst dort zur Ruhe finden und die Ereignisse in Sicherheit abwarten können.«
    Frei. Wirklich frei. Es klang so unglaublich, dass Jeanne zögerte, daran zu glauben.
    »Dem Allmächtigen sei Lob und Preis«, sprach Mahaut weiter. »Er hat mir an einem Tag zwei Töchter und eine Enkeltochter zurückgegeben. Ich werde zum Dank dafür Messen lesen lassen, wenn wir zu Hause sind. Gehen wir, meine Kinder.«
    Innerhalb kürzester Zeit fand sich Jeanne, in Pelze gewickelt, Blanche im Arm, die Füße von einem Rost gestützt, unter dem ein eiserner Glutbehälter Wärme absonderte, in einem gepolsterten Reisewagen wieder. Neben sich Séverine, auf der Bank gegenüber ihre majestätische Mutter. Sie gab das Kommando zum Abfahren, indem sie mit einem Gehstock gegen das Dach der Kutsche schlug.
    Das Gepolter weckte Séverine aus ihrer Betäubung. Sie hatte sich überrumpeln lassen, nun schrie sie auf und sprang aus dem Wagen.
    »Julien! Wir können Julien nicht hierlassen. Die Kriegsknechte haben ihn grün und blau geprügelt, als er die Ziege verteidigte. Auch der Pater wird ohne unsere Hilfe sterben, und …«
    »Sie alle willst du mitnehmen? Das klingt nach einem Hofstaat.«
    Mahaut kam die Verzögerung ungelegen, aber Séverine ließ nicht mit sich reden. Jeanne beobachtete ihr Kräftemessen und fühlte sich gut. Im Gegensatz zu ihr und Blanche war Séverine der Mutter offensichtlich gewachsen. Sie hatte ihre Stärke geerbt.
    Sie setzten sich erst in Bewegung, als Pater Philémon in einer Ecke neben Mahaut klemmte und Julien vor einem der Berittenen auf dem Pferd saß.
    Mahaut knurrte Unverständliches. Jeanne schloss die Augen und drückte Blanche enger an sich.
    Sie waren gerettet.

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Siebzehntes Kapitel
    A drien hatte Philippe in dessen Arbeitskabinett im Königspalast auf der
Île de la

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