Turm der Lügen
einen Sohn und Erben bekommt. Natürlich bist du in Gefahr, sobald er davon erfährt.«
»Du bist schwanger?« Mahaut fasste ihre Töchter verärgert ins Auge. »Warum sagt ihr mir das erst jetzt? Es ist wahrlich ein Grund mehr, zu fliehen. Valois darf es keinesfalls erfahren, ehe wir nicht in Sicherheit sind. Ich denke, dass ich in Philippes Sinn handle, wenn wir Vincennes verlassen.«
Dass sich Mahaut und Séverine in der Beurteilung der Ereignisse einig waren, überzeugte Jeanne letztendlich.
»Wie sieht Euer Plan aus, Madame?« Séverine sah zwar die Notwendigkeit der Flucht ein, aber sie wollte mehr wissen. »Im Gewitterregen zu reiten ist gefährlich. Es macht die Pferde nervös. Aus dem Damensattel sind sie ohnehin schwerer zu führen.«
»Ich habe eine Möglichkeit der Flucht für uns drei aufgetan, aber dabei müssen wir Komödie spielen.«
»Das klingt verwegen. Was wollt Ihr da auf Euch nehmen? Ihr seid nicht mehr die Kräftigste.«
»Das lass meine Sorge sein«, erhielt sie zur Antwort. »Kümmere du dich um Jeanne. Nie hätte ich gedacht, dass ihr abgeschnittenes Haar noch einmal ein Segen sein wird. Ein wenig Schmutz ins Gesicht, ein Wolltuch und der schäbige Umhang einer Magd tun das Übrige.«
Séverine konnte Mahaut eine Spur von Bewunderung nicht versagen. Die gebückte Bäuerin, die sich wenig später, die Kapuze bis zu den Brauen gezogen und auf einen Stock gestützt, durch den triefenden Regen über den Burghof schleppte, hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Pair des Königreiches.
Sie trieb ihre Töchter mit harscher Stimme zu einem Ochsenfuhrwerk. Im ersten Dämmerschein war zu erkennen, dass der Karren Holzfässer geladen hatte und mit einer Plane überspannt war.
Die Zügel des Gespanns hielt ein muskulöser Mann mit grauem Haarkranz. Wasser rann von der Planenkante über seine Haare, den Hals hinunter und in den Kittel hinein. Der Stoff klebte ihm nass am Körper. Stoisch, wie die Ochsen im Geschirr, wartete er Mahauts Befehle ab.
Séverine half Jeanne, sich wie befohlen zwischen die Fässer auf den Boden zu setzen, bevor sie sich neben sie kauerte. Mahaut ließ sich ächzend neben dem Kutscher nieder. Dann setzte sich das Gefährt in Bewegung. Ein gleißender Blitz, unmittelbar gefolgt von einem Donnerschlag, entlockte Jeanne einen entsetzten Schrei. Glücklicherweise brüllten zur gleichen Zeit die Ochsen.
Die Bewaffneten am Haupttor begrüßten die Abwechslung nach stundenlanger Nachtwache. Mahaut wusste glücklicherweise, wie man mit Männern umging, die gereizt und gelangweilt versuchten, ihre Pflicht zu tun. Sie war zwar keine liebende Mutter, aber eine Quelle der verblüffendsten Talente.
»Seid froh, dass wir das Zeug sogar bei diesem Sauwetter davonschaffen«, rief sie rauh. »Euch feine Burschen möchte ich hören, wenn der Dreck aus zu vollen Fässern auf die Zugbrücke schwappt und ihr die verrotteten Kaldaunen aus der Burgküche in der Nase habt.«
»Fahr zu, Mann, und schaff uns die Alte vom Hals«, rief einer der Wächter dem stummen Kutscher zu. »Du solltest sie in eines von deinen Fässern stecken, um ihr Schandmaul zu ersticken.«
Mahaut quittierte den Rat mit einem boshaften Kichern. Danach holperte das Fuhrwerk über die Holzbohlen und erreichte ohne weiteren Aufenthalt die Landstraße. Knirschend drehten sich die Räder im Morast. Mit zermürbender Langsamkeit sah Séverine die Bäume vorbeiziehen, wenn sie um eines der Fässer schaute.
Sie verstand, dass Mahaut so viel des Weges wie möglich zwischen sich und Vincennes legen wollte, ehe sie die Maskerade aufgab. Irgendwo wartete sicherlich ein Reisewagen.
»Mir wird übel, wenn ich diesem Gestank nicht bald entkomme«, klagte Jeanne. »Was um Himmels willen ist in diesen Fässern?«
»Küchenabfälle. Schweinefutter. Die Burgküche sammelt das Zeug in den Fässern und verkauft es an die Bauern, die ihre Tiere damit füttern. Es ist ein Privileg. Nicht jeder Bauer kommt in den Genuss, seine Schweine mit den Überresten der königlichen Tafel füttern zu dürfen.«
Jeanne schüttelte sich vor Abscheu.
»Es kann nicht mehr lange dauern«, beruhigte sie Séverine. »Siehst du, der Wald wird schon lichter.«
»Wohin bringt sie uns? Weißt du das?«
»Keine Ahnung. Aber ich muss dir sagen, ich bin lieber ihr ausgeliefert als Charles von Valois. Männer wie er sind mir unheimlich.«
»Mir ist meine Mutter unheimlich«, gestand Jeanne leise. »Sie hat uns überrumpelt, das ist dir doch klar.
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