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Turm der Lügen

Turm der Lügen

Titel: Turm der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cristen
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Jeanne sich zu erheben. Sie wäre gefallen, hätte ihr eine jüngere Nonne nicht im letzten Augenblick die Hand gereicht. Neben ihr lag Blanche auf den Steinplatten. Ob schlafend oder besinnungslos, sie konnte es nicht erkennen. Eine Klosterschwester bemühte sich um sie, klatschte ihr leicht auf die Wangen. Am liebsten hätte Jeanne sie davon abgehalten. Wozu Blanche wecken? Solange sie nicht bei sich war, blieb ihr das Entsetzen erspart. Selbst Marguerites stolze Haltung wirkte nicht mehr so unerschütterlich wie vor Stunden.
    Mutter Geneviève mahnte zur Eile. Blanche, gestützt von zwei Nonnen, kam wieder zu sich. Sie wurden in die karge Kammer gebracht, die sie bereits kannten.
    Auf dem Holztisch stand weder eine Morgenmahlzeit noch etwas zu trinken.
    »Ich habe Durst und mir ist kalt. Ich fürchte, ich werde krank«, klagte Blanche und sank auf die Bank.
    Jeanne entdeckte drei Tuchbündel aus grober brauner Wolle, die dort lagen. Ihr Blick kreuzte sich mit dem von Marguerite.
    »Ihr seid gehalten, Eure Gewänder und allen Schmuck abzulegen«, bestätigte Mutter Geneviève Jeannes heimliche Befürchtungen unverzüglich. »Seine Majestät befiehlt Euch, das Büßergewand zu tragen.«
    »Das Büßergewand? Was soll das heißen?«, jammerte Blanche.
    »Dass Ihr Euch in diese Nonnenkutten kleiden sollt«, erwiderte Mutter Geneviève und mahnte: »Ihr habt keinen Grund, das einfache Kleid einer Braut Christi zu verschmähen. Vergesst Eure Eitelkeit, dann wird Euch sicher irgendwann Vergebung gewährt.«
    In Marguerites Augen flammte Zorn auf, doch die Nonne blieb ungerührt.
    »Kleidet Euch aus«, befahl sie.
    »Wer glaubt Ihr zu sein, dass Ihr es wagt, der Königin von Navarra Befehle zu erteilen?«, fuhr Marguerite sie an, ohne Anstalten zu machen, sich zu entkleiden. »Ich denke nicht daran, diese lächerlichen Nonnenkutten anzulegen. Ich verlange, vor den König geführt zu werden. Ich will …«
    Mutter Geneviève griff Marguerite mit solcher Festigkeit am Oberarm, dass sie mit halboffenem Mund abbrach. Dass sie es außerdem wagte, sie dabei auch noch zu schütteln wie eine ungehorsame Novizin, verschlug ihr endgültig die Sprache.
    »Kommt zu Euch«, tadelte die fromme Frau Marguerites selbstherrlichen Auftritt. »Niemand hat das Recht, sich dem Befehl des Königs zu widersetzen. Wir sind angehalten, Euch helfend zur Seite zu stehen. Fordert nicht noch zusätzliche Demütigungen heraus.«
    Etwas in ihrer Stimme ging Jeanne unter die Haut. Ihr Atem stockte.
    »Man wünscht, Euch als Büßerinnen vor dem Thron zu sehen. Das bedeutet, wir müssen Euch auch das Haar abschneiden.«
    »Neiiiin!«
    Blanche griff sich voller Panik ins Haar, das, von einem goldenen Netz gehalten, ihren schlanken Hals vorteilhaft umrahmte. Ihre Haare waren ihr ganzer Stolz. Die schönsten Locken des ganzen Hofes, hatte Gautier gesagt. Sogar der König hatte ihr Komplimente gemacht, als sie noch in seiner Gunst stand. Die Vorstellung, diesen Schmuck opfern zu müssen, übertraf in ihren Augen alle bisherigen Schrecken.
    »Niemals«, verneinte auch Marguerite, die ihre schwarze Haarpracht mit kostbaren Ölen pflegte und mit juwelenbesetzten Kämmen an den Schläfen zurückhielt.
    »Der Wille des Königs ist Gesetz.«
    Obwohl Mutter Genevièves Stimme leise und ruhig blieb, war allen klar, dass kein Protest helfen würde.
    Zum ersten Mal glaubte Jeanne, so etwas wie Mitgefühl bei Mutter Geneviève zu spüren. Nie zuvor war eine Frau aus der Familie des Königs so vor Gericht gestanden, in aller Öffentlichkeit des Ehebruchs angeklagt. Es gab keine vergleichbare Anklage, kein bekanntes Urteil, das das Strafmaß erahnen ließ oder vielleicht Aussicht auf mildernde Umstände versprach.
    Sie trat mit wächsernem Gesicht an den Tisch und streifte den ersten ihrer Ringe ab. Der kieselsteingroße Rubin war ein Geschenk Philippes zur Geburt von Marguerite gewesen. Dann folgte der Siegelring mit dem Wappen der Pfalzgrafschaft von Burgund, von dem Mahaut verlangt hatte, dass sie ihn ständig trug.
    ›Damit du nie vergisst, dass dein Herz Burgund gehören muss‹, hatte sie gesagt. ›Du bist die Schwägerin des künftigen Königs von Frankreich und damit die erste und wichtigste Verbündete deines jungen Bruders, wenn er einmal über die Pfalzgrafschaft herrschen wird. Auf dich muss er sich verlassen können. Blanche ist zu töricht, um ihm viel zu nützen.‹
    Ihre Mutter hatte auf das falsche Pferd gesetzt. Eine Verbündete, die den Zorn des

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