Turm der Lügen
Königs erregt hatte, würde Robert eher schaden als nützen.
Langsam zog sie die Haarnadeln mit den unregelmäßig geformten, cremefarbenen Flussperlen aus ihrer Frisur. Sie spürte, wie Strähne für Strähne ins Rutschen geriet und über die Schultern fiel.
Erst als sie den Gürtel ihres Übergewandes löste, kam auch Leben in Blanche. Sie fuhr zu ihr herum und hielt sie davon ab, die Schlaufe zu öffnen.
»Hör auf damit. Sie haben kein Recht, uns das anzutun. Es ist ein Scherz. Man will uns nur einen Schrecken einjagen, begreifst du das nicht?«
»Der König neigt nicht zu Scherzen, Blanche.« Jeanne befreite sich von der Schwester. »Du verwechselst ihn mit Charles.«
Es war ein Fehler, Charles zu erwähnen. Blanche brach auf der Stelle wieder in Tränen aus. Die frommen Frauen ließen sich weder von Tränen noch von Gegenwehr aufhalten. Mit ruhiger Bestimmtheit nahmen sie Blanche den Schmuck ab und begannen, sie zu entkleiden, ohne sich um ihren törichten Widerstand zu kümmern.
Jeanne spürte ihre Ohnmacht geradezu körperlich. Ein Zittern, das tief in ihrem Inneren begann, strahlte bis in die Fingerspitzen aus. Ihre Hände sanken tatenlos herab. Die Nonnen zeigten erkennbar Übung, hatten wohl zum Teil weltliche Erfahrung im geschickten Entkleiden. Nicht jede war freiwillig dem Orden beigetreten. In vielen Familien war es Brauch, unliebsame weibliche Verwandte in den Schoß der Kirche abzuschieben.
Reglos ließ Jeanne alles mit sich geschehen. Nicht einmal ein Hemd ließ man ihr, um die letzte Blöße zu bedecken. Nackt und bebend stand sie in der Kälte. Die feinen Härchen auf der Haut sträubten sich schmerzhaft. Ein flüchtiger Blick auf die wohlgerundeten Hüften ihrer Schwester und den zartgoldenen Körper Marguerites zeigte ihr, dass sie ebenso froren.
Das grobe Gewebe der braunen Kutten, die sie anlegen mussten, spendete keine Wärme; es fuhr wie Pferdestriegel über die Haut. Jeanne widerstand nur mit Mühe dem Wunsch, das grobe Zeug wenigstens von ihren empfindlichen Brüsten wegzuziehen. Es kratzte unerträglich.
»Kniet nieder«, befahl Mutter Geneviève streng. »Und senkt den Kopf.«
Der Steinboden war hart und kalt.
Jeanne spürte, dass jemand ihre losen Haare ergriff und zusammenfasste. Das erste Schaben des Messers am Kopf traf sie dennoch so unvorbereitet, dass sie eine heftige Bewegung machte. Die Nonne, die eben ihr Werk begonnen hatte, rutschte mit dem Messer ab und traf die Kopfhaut. Ein dünnes Rinnsal warmen Blutes rann über Jeannes Stirn, noch ehe es richtig weh tat.
Sie schloss die Augen und biss die Zähne so gewaltsam zusammen, dass sich die Kiefermuskeln verkrampften. Ihre Kopfhaut brannte und wurde zugleich eiskalt. Das unheimliche Geräusch des Messerschabens auf ihrem Kopf vervielfältigte sich zum Brausen eines Sturms in ihren Ohren. Weder Blanches Schluchzen noch Marguerites wütender Protest übertönten es. Noch als alles längst vorbei war, verharrte Jeanne auf den Knien.
Ob Philippe wusste, was man ihr antat?
»Das sollst du mir büßen, Isabelle«, vernahm sie nach unendlich langer Zeit Marguerites gezischte Worte. »Sei gewiss, dass ich mich rächen werde, und wenn es meine letzte Tat ist im Leben.« Wütend fauchte sie Blanche an: »Hör auf zu heulen. Gönn Isabelle nicht die Genugtuung. Reiß dich zusammen und erinnere dich daran, wer du bist.«
»Mein Haar«, jammerte Blanche, ohne auf ihren Rat zu hören. »Wir sehen aus wie Mönche. Wie Ketzerinnen, die man zum Scheiterhaufen zerrt. Lieber wäre ich tot.«
»Wie kannst du so etwas Dummes sagen.«
Jeanne richtete sich endlich auf und starrte ihre Schwester an, die wieder und wieder mit den Handflächen über das Stoppelfeld auf ihrem Kopf strich. Das hübsche Mädchengesicht wirkte verhärmt und eingefallen. Sah auch sie so abstoßend aus?
Blanche sah um sich wie ein in die Enge getriebenes Reh.
»Ich bin unschuldig. Warum sagt keiner endlich, dass ich unschuldig bin. Charles ist schuld. Er hat mich im Stich gelassen.«
Sie raffte mit fahrigen Bewegungen die blonden Strähnen zusammen, die um sie herum auf dem Boden verstreut lagen, und presste sie an sich.
»Wie sehe ich eigentlich aus? Wie soll je ein Mann mich kahlköpfig begehren?«
Marguerite, den kahlen Kopf stolz erhoben, stieß ein scharfes, freudloses Lachen aus.
»Lieber würde ich freiwillig zur Hölle fahren, als mit kahlem Kopf Louis’ Bett teilen, das steht fest.«
»Ihr versündigt Euch. Demut und Reue werden von Euch
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