Turm der Lügen
die Worte Philipp wie winzige Pfeile trafen. »Die Schuldigen müssen in einer Strenge Sühne leisten, die auch dem letzten Leibeigenen in Eurem Königreich zeigt, dass die Frauen Eurer Söhne ebenso Eurer Gerechtigkeit unterliegen wie jeder andere Untertan. Beraubt sie ihrer Freiheit. Nehmt ihnen jede Möglichkeit, jemals etwas anderes zu tun, als zu bereuen und zu beten. Verbannt sie, trennt ihre Ehen.«
Selbst Louis wurde von der außergewöhnlichen Härte dieser Forderung überrascht.
Charles schluchzte.
»Ich bin nicht bereit, mich von Jeanne zu trennen.« Philippes Stimme klang trotz des Schmerzes entschlossen.
»Du bist in erster Linie nicht bereit, dich von der Aussicht auf die Pfalzgrafschaft Burgund zu trennen«, lachte Louis verschlagen. »Wie man hört, ist der junge Robert schon wieder erkrankt. Mahaut ist an sein Bett geeilt. Wenn er den kommenden Winter nicht überleben sollte, erbt ihre älteste Tochter die Franche-Comté, und du wirst Pfalzgraf von Burgund. Aber natürlich nur, wenn Jeanne bis dahin noch deine Frau ist. Gib zu, dass es so ist, Bruder.«
Philippe widersprach dem nicht. Es stimmte in gewisser Weise. Er verlor die Politik selten aus den Augen. Er war im Sinne seines mächtigen Vaters erzogen worden. Und er war derjenige seiner Söhne, der politisches Gespür besaß. Aber in diesem speziellen Falle irrte sich sein Bruder.
Der König erhob sich.
»Ich werde mich bedenken«, beschied er ihnen unnahbar. »Mein endgültiges Urteil werdet ihr, wie alle anderen, heute Nachmittag im großen Saal vernehmen. Bis dahin zieht Euch zurück. Und: Keiner von Euch wird mit seiner Ehefrau vorher Verbindung aufnehmen.«
Philippe ahnte, dass die Anordnung in erster Linie ihm galt. Dabei war er im Augenblick kaum noch fähig, aufrecht zu gehen. Die Gestalt des Vaters verschwamm vor seinen Augen. Isabelles diamantenbesetztes Diadem blendete. Was fühlte sie bei der Aussicht, ihre Schwägerinnen in der Verbannung zu sehen? Zufriedenheit? Triumph? Was hatte Jeanne ihr getan, dass sie sie so sehr hasste?
»Du schwankst, hast du getrunken?« Isabelle fasste ihn unerwartet am Arm und stützte ihn. »Dich hätte ich am allerwenigsten für einen Schwächling gehalten, der Trost im Wein sucht.«
»Wo sonst sollte ich ihn finden«, zwang sich Philippe zu antworten. Vor Isabelle eine Schwäche einzuräumen widerstrebte ihm. Bis vor wenigen Tagen hatte er Mitleid für sie gehegt, inzwischen war ihm bereits ihre Berührung unangenehm. Ohne ihre hinterhältige Anklage hätte Jeanne in diesen Tagen bestimmt eine Möglichkeit gefunden, offen mit ihm zu sprechen.
»Ein kluger Mann verlässt sich vernünftigerweise allein auf die eigene Kraft«, entgegnete sie kühl. »Ich habe dich immer für den verständigsten meiner Brüder gehalten. Wie ich sehe, habe ich mich getäuscht.«
»Dann bete zu Gott, dass du dich nicht auch bei den Anklagen gegen deine Schwägerinnen getäuscht hast. Du gründest sie auf Bespitzelung. Du willst nicht verraten, wer dir die Informationen verschafft hat und woher du zu wissen glaubst, was im
Tour de Nesle
geschehen ist«, antwortete Philippe. »Fürchtest du nicht, dass dir das Schicksal irgendwann die Rechnung dafür präsentiert, dass du ihr Leben zerstört hast.«
»Sie haben sich schuldig gemacht. Nicht ich.«
»Auch Jeanne?«
Er wartete ihre Antwort nicht ab. Vornübergebeugt und mit eiligen Schritten verließ er sie.
Dass Isabelle erblasste, entging ihm.
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Achtes Kapitel
E s dauerte einige Zeit, bis Jeanne in ihrer Versunkenheit die Berührung wahrnahm. Stundenlanges Gebet und zunehmende körperliche Erschöpfung hatten sie in einen Zustand eigenartiger Abwesenheit fallen lassen. Eine der Nonnen hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt. Als sie sich umsah, blickte sie in ein faltenloses, bleiches Altersgesicht.
»Erhebt Euch. Die Befehle des Königs sind überbracht worden.«
Jeanne starrte in Mutter Genevièves Augen. Sie hatte Mühe, sich an die Nonne zu erinnern, die sie in die Kapelle geführt hatte. Es musste Ewigkeiten her sein. Vor dem Altar war es eiskalt, ihre Knie schmerzten, ihr Magen verkrampfte sich vor Hunger. Aber all das verblasste gegen die Angst, die in ihr aufstieg. Man verweigerte ihr die Anrede, die ihr gebührte, erteilte ihr Befehle und erwartete Gehorsam. Sie erkannte die Zeichen und fürchtete das Schlimmste.
Was war geschehen, während sie in der Kapelle gebetet und gehofft hatten?
Mit tauben Gliedern und hämmerndem Herzen versuchte
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