Turm der Lügen
Messer noch die eisernen Zangen erspähen, und schon gar nicht, was die Schergen nun damit taten.
Das Rasen des Pöbels übertönte barmherzig alle weiteren Schreie und Geräusche. Das Gesicht in Adriens Wams vergraben sandte Séverine ihre Gedanken zu Jeanne.
Halte durch, Schwester. Gott schenke dir die Kraft, diese Stunden zu überstehen, und die Gnade, sie irgendwann vergessen zu können.
»Komm«, drängte Adrien schließlich und zog sie vom Fenster weg. »Es genügt. Du musst nicht Zeuge werden, wie sie gehängt werden. Der Gerechtigkeit ist Genüge getan, und vielleicht findet sich nun auch unser König bereit, die Prozedur abzubrechen.«
»Aber Jeanne …«, protestierte Séverine mit letzter Kraft. Sie war einer Ohnmacht nahe und kaum mehr fähig, sich auf den Beinen zu halten.
»Du hilfst ihr nicht, indem du an die Grenzen deiner eigenen Leidensfähigkeit gehst, Séverine. Lass dich in Sicherheit bringen.«
»Und Jeanne? Werde ich sie noch einmal sehen, ehe sie in die Verbannung geschickt wird?«
Adrien verneinte. »Du weißt, dass du dein Wissen ohnehin mit niemandem teilen darfst, auch nicht mit Jeanne. Die Gefahr, dass Mahaut davon erfährt, ist zu groß. Die Folgen wären unabsehbar. Sie kann nicht zulassen, dass ihre ungeheuerliche Tat nach so vielen Jahren ans Licht kommt. Dein Leben wäre in Gefahr.«
Er hasste es, ihre Ängste zu schüren, aber nur Angst hielt sie hoffentlich von unüberlegten Handlungen ab. Die Art, wie sie ergeben den Kopf neigte und schwieg, bestätigte es. Dass es ihm in der Seele weh tat, sie so mutlos und niedergedrückt zu sehen, behielt er für sich.
Er musste sie so schnell wie möglich aus Pontoise fortbringen.
* * *
»Adrien. Gut, dich zu treffen. Ich wollte eben nach dir schicken lassen.«
»Mon Seigneur.«
Ein einziger Blick zeigte Adrien, dass sein Lehnsherr und Freund in einer fürchterlichen Verfassung war.
»Begleite mich«, forderte Philippe ihn ohne weitere Umschweife auf. »Wir müssen dringend miteinander reden. Weißt du einen Platz, an dem wir nicht belauscht werden können?«
»Bei meinem Streitross. Mars ist aus der Zucht von Faucheville. Er duldet außer Julien und mir niemanden in seiner Nähe. Der Stallmeister hat ihm am äußersten Ende der königlichen Stallungen einen Platz eingeräumt.«
»Dann lass uns dorthin gehen. Du warst Zeuge der Hinrichtung?«
»Wie es der König für alle befohlen hat.«
Adrien antwortete voller Zurückhaltung. Bislang hatte Philippe mit keinem über die Katastrophe gesprochen, die Jeanne ins Verderben gerissen hatte. Dass er sich nun an ihn wandte, konnte sowohl ein Zeichen besonderen Vertrauens wie auch eines von Verzweiflung sein. Seine nächsten Worte wiesen eher auf Letzteres hin.
»Ich habe alles versucht, den König von der Unschuld meiner Frau zu überzeugen. Es ist mir nicht gelungen. Isabelle hat zu viel Einfluss. Bei ihr mischen sich Tochterliebe, persönlicher Hass und politische Ziele zu einem üblen Gebräu. Ich zähle die Tage bis zu ihrer Abreise. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so von ihr sprechen würde. England hat sie fruchtbar verändert. Sie ist verbittert und rachsüchtig gegen jedermann.«
Der schwarze Hengst schnaubte freudig, als er seinen Herrn erkannte. Den Kopf über das geschlossene Gatter senkend, nahm er die gewohnte Liebkosung des Nasensteges entgegen. Philippe hielt Abstand. Das nervöse Spiel der Pferdeohren warnte ihn davor, näher zu treten.
»Mir sind die Hände gebunden, Adrien. Ich kann es kaum ertragen, die Mutter meiner Kinder so leiden zu sehen. Ich habe schließlich vor Gott geschworen, sie vor allem Kummer zu bewahren.«
Philippe hatte Adriens ganzes Mitgefühl. Dennoch behielt er seine Empfindungen für sich.
»Seid Ihr wirklich der einzige Fürsprecher Jeannes?« Er wählte die höfische Anrede, obwohl das freundschaftliche Du seit Knabenzeiten zwischen ihnen in Gebrauch war. »Wo ist eigentlich ihre Mutter? Mahaut von Artois kann doch nicht widerspruchslos zusehen, wie zwei ihrer Töchter in aller Öffentlichkeit gedemütigt und verurteilt werden. Nach dem Tod der Königin hat sie an Einfluss gewonnen. Auf sie würde der König sicher hören.«
»Ihr endloser Streit mit Robert von Artois hat sie diesen Einfluss gekostet. Es ist ihr zwar gelungen, den angeheirateten Neffen zum Bastard zu erklären und ihm das Erbe seines Vaters zu nehmen, aber der Ritter ist kein Dummkopf. Mahauts kühne Behauptung, ihr Schwager, sein verstorbener Vater, sei
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