Turm der Lügen
mit seiner Gemahlin nie verheiratet gewesen, ist ebenso wenig nachprüfbar wie das Gegenteil. Der König fand sich zwar bereit, Mahauts Rechtsanspruch auf die Provinz Artois aus diesem Grund zu bestätigen, aber nur, weil sie ihm als Mutter zweier Schwiegertöchter nahesteht. Inzwischen arbeitet Artois mit allen Mitteln daran, seine Feindin Mahaut in Verruf zu bringen«, erklärte Philippe. »Er gibt sich als freundlicher Bär, aber in Wirklichkeit brennt er vor Zorn darüber, dass sie seine ehrenhafte Geburt öffentlich bestritten hat.«
»Wundert Euch das?«, warf Adrien ein. »Kein Mann lässt sich gern als Bastard beschimpfen und von der eigenen Verwandtschaft um das Erbe bringen.«
»Wie dem auch sei«, winkte Philippe ab. »Inzwischen ist Artois’ Position beim König, trotz seiner zweifelhaften Geburt, die eines hochangesehenen Ritters. Unser Vater braucht Männer wie ihn. Kampfgestählte Draufgänger. Auf Jünglinge von zarter Gesundheit, wie meinen Schwager Robert, den Pfalzgrafen von Burgund, kann er nicht bauen. Mahauts Stern ist im Sinken begriffen, vielleicht ist sie deswegen noch nicht in Pontoise erschienen. Ich bin sicher, dein Vater hat nicht versäumt, ihr auf der Stelle einen Kurier zu senden, als der Skandal ruchbar wurde. Oder hast du andere Informationen von ihm?«
»Ich habe mit meinem Vater noch kein Wort gewechselt, seit wir in Pontoise sind«, antwortete Adrien. Dass sein Verhältnis zu ihm nicht gut war, wusste Philippe ohnehin.
Nicht zuletzt war das der Grund dafür, dass sie sich bereits im Pagenalter angefreundet hatten. Zwei Söhne übermächtiger Väter, die vergeblich um ihre Anerkennung kämpften.
»Es gibt Gerüchte, Robert von Artois habe meine Schwester mit den Informationen über die Ehebrecherinnen versorgt. Ich halte das für wahrscheinlich. Ihm ist jedes Mittel recht, meine Schwiegermutter zu erniedrigen und ihre Macht zu schmälern. Ihm ist es egal, wenn dabei auch Unschuldige ins Verderben gerissen werden. Er steht Mahaut in nichts nach.«
Adrien rief sich die eindrucksvolle Erscheinung Mahauts vor Augen. Über Jahrzehnte hatte er seinen Hass auf sie genährt. Nun stellte er fest, dass er verflogen war. Das Scheitern all ihrer Hoffnungen und Pläne musste für sie die schlimmste Strafe sein.
»Wenn Ihr Jeanne retten wollt, müsst Ihr dem König diesen Zusammenhang beweisen«, sagte Adrien schließlich.
»Beweisen?« Philippe lachte freudlos auf. »Beweise sind offensichtlich unwichtig in den Augen des Königs. Es gibt auch keine Beweise, dass Jeanne die Verfehlungen der beiden anderen wissend gebilligt hat. Dennoch wird sie in gleichem Maße bestraft. Mir sind die Hände gebunden. Ebenso ihrer Mutter.«
Adrien teilte seine Einschätzung der Lage. Sie waren machtlos. Séverine fiel ihm wieder ein, die auf ihn wartete. Was wollte Philippe von ihm?
»Worum möchtest du mich bitten?«, fragte er in freundschaftlicherem Ton.
»Du kennst mich gut.« Ein kaum sichtbares Lächeln entspannte Philippes Miene. »Eigentlich handelt es sich um eine Bitte Jeannes. Sie hat mir die Sorge um unsere Töchter ans Herz gelegt, die sie unter Jacquemines Obhut in Paris lassen musste. Ich bin auf der Suche nach einem Mitglied ihres Haushaltes. Séverine Gasnay. Jeanne möchte, dass sie der alten Kinderfrau zur Hand geht. Sie sagte mir, dass du sicher wüsstest, wo sie steckt.«
Adrien konnte sein Erschrecken nur mühsam verbergen. Seit zwei Tagen tat er alles, um Séverines Existenz in Vergessenheit geraten zu lassen. Diese Bitte machte seine ganzen Bemühungen wieder zunichte.
»Séverine ist der Sorge unserer Familie anvertraut«, sagte er schließlich langsam. »Sie ist außer sich vor Kummer, denn auch sie hat Jeanne in ihr Herz geschlossen. Sie ist im Augenblick nicht fähig, ihr irgendwelche Dienste zu erweisen. Gleich welcher Art.«
»Ich habe Jeanne mein Wort gegeben, Adrien. Sie will für unsere Kinder vertraute Gesichter und Fürsorge. Dies ist nicht die Stunde für falsche Rücksichten. Was du mir als Bitte verweigerst, kann ich über einen Befehl erzwingen. Die Zeit drängt.«
Mars wieherte auf. Das sensible Tier spürte die unvermittelte Spannung zwischen den beiden Männern. Adrien klopfte ihm beruhigend den Hals, ehe er Philippe offen ins Gesicht sah.
»Was weißt du über Séverine Gasnay?«
»So gut wie nichts. Aber ich habe Augen im Kopf. Es handelt sich um das Mädchen, das ihr so verblüffend ähnlich sieht, nicht wahr? Jeanne ist kein Mensch, der anderen
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